Bosparanisches Blatt
Thronerbe geboren!
Hoch Khadan Firdayon!

von Aphÿolann dyll Dêlos

Vinsalt. Schon im Rondra dieses Götterlaufes waren Gerüchte über eine angebliche Krankheit der kaiserlichen Cronprinzessin Aldare Firdayon von Vinsalt zu hören, ließ sich Ihre Allerdurchlauchtigste Hoheit doch seit Wochen bei zahlreichen gesellschaftlichen Anlässen entschuldigen und verließ nur selten ihre Räumlichkeiten im horaskaiserlichen Palast zu Vinsalt. Dieses für die Hohe Lehrmeisterin der Hesinde äußerst ungewöhnliche Verhalten wurde schon bald darauf durch eine offizielle Stellungnahme des Hofes erklärt: Das Kaiserhaus erwarte Nachwuchs!

Über Umwege konnte zudem von einem kaiserlichen Medicus in Erfahrung gebracht werden, daß mit der Niederkunft Anfang Hesinde zu rechnen sei.
Getreu den weisen Worten des Dichters Gervilius von Bosparan, der die Fama* als ein monstrum horrendum ingens von wahrhaft dämonischem Charakter beschrieb, kursieren seitdem die wildesten Spekulationen über die Herkunft des Kindes. Angeblich ermittelt zur Zeit die Staats-Advocatur gar gegen die berühmt-berüchtigte Nachrichtenagentur Nanduria, die unter der Hand Höchstpreise für Informationen betreffend den Aktivitäten der Cronprinzessin in den Monaten Tsa und Phex 2513 geboten haben soll.
Zwar distanziert sich die Redaktion des Bosparanischen Blattes deutlich von diesen kompromittierenden Mutmaßungen, doch können wir im steten Bemühen um umfassende Berichterstattung nicht auf die Nennung jener Namen verzichten, die gemeinhin als 'Favoriten' gehandelt werden: Dies sind vor allem Herzog Cusimo von Garlischgrötz zu Grangor, der ja als Lebemann und Salonlöwe bekannt und für seinen Charme berühmt, zudem immer noch unvermählt ist, Seekönig Palamydas Thaliyin dyll Rethis, dessen makellose Gestalt manchen schon Zeichen für zukünftige Kaiserwürde gilt, sowie seine Eminenz Eternenwacht, Abtprimas der Draconiter, den die Firdayon persönlich ans Kindbett bestellt hat. Aber auch einige Künstler, Gelehrte und Hesindegeweihte sowie ein gewisser Comto Ravendoza vom Staats-Orden des Goldenen Adlers werden genannt. Letzterer soll die Prinzessin auf der Gesandtschaft zu ihrem heutigen Gemahl Shafir dem Prächtigen begleitet haben. Zuletzt seien noch zwei Geschichten erwähnt, die mit rührender Dramatik von einer verbotenen Liebschaft erzählen: Die eine handelt von einem hohen almadanischen Würdenträger, dessen Namen hier zu nennen wir aus Pietätsgründen unterlassen wollen, und erinnert an Ihrer Hoheit jüngere Schwester Salkya, die ja für ihre Ehe mit einem almadanischen Baron auf das mögliche Thronerbe verzichtete, die andere von Romin von Kuslik-Galahan, über die Näheres zu berichten uns allerdings ausdrücklich untersagt wurde.

Über keinen der oben genannten ehrenwerten Herren wird aber soviel gerätselt, phantasiert oder gescherzt wie über den Prinzgemahl selbst, Principe Shafir von Khômblick - und schon kurz nach der unbedachten Äußerung jenes traditionellen Kusliker Institutes, das offenbar noch immer das gleiche Feingefühl für staatlich prekäre Fälle an den Tag legt wie zu seiner ach so fernen Gründungszeit, sprach man bis über die Grenzen des Reiches hinaus von der Vaterschaft des Kaiserdrachens... Fama nihil celerior est.**

Da der Hof der Horas schwieg, steigerten sich die Vermutungen und Theorien von Mond zu Mond ins Undenkbare, in Vinsalt wurde gar die 'Selbstlose Loge zur Ergründung der kronprinzlichen Herkunft' gegründet - und tags darauf schon wieder geschlossen (weniger wegen des Einschreitens offizieller Stellen, die über die Brisanz des Falles noch beratschlagten, als um der Gesundheit der Mitglieder willen, die nach dem ersten Logentreffen meistenteils diverse Medici konsultierten, wurde die Angelegenheit doch mit ungewöhnlich handgreiflicher Brisanz 'diskutiert').
So verwundert kaum der unglaubliche Andrang, den die kaiserliche Capitale in den ersten Tagen des Hesindemondes erlebte. Schon in der letzten Boronswoche waren alle gastfreien Häuser belegt, während Besitzer größerer Anwesen begannen, diese oder eiligst errichtete Zelte oder Bretterbuden in ihren Gärten zu vermieten. Doch lange Zeit geschah nichts, und der Horashof hüllte sich in Schweigen. Tage verstrichen, Gerüchte brandeten über die Stadt wie die wogenden Fluten des Yaquirs - brachten ständig Neues, vermittelten aber stets den gleichen Eindruck.
Nun begann ein gnadenloser Kampf um höfisches Ansehen: Wer konnte es sich länger leisten, von seinen heimischen Gütern fortzubleiben, um hier bei Tee und Tabak das bevorstehende Ereignis zu erwarten? Die Tage verstrichen, und beim Kronkonvent zur Monatsmitte wurde einen Tag lang die Frage debattiert, ob er denn wegen Unterbesetzung als nicht beschlußfähig erklärt werden kann (Anlaß dafür war eine Beschwerde von Vertretern des nordyaquirischen Adels, die die erdrückende Übermacht der chababischen Granden fürchteten - denn aus dem 'Wilden Süden' waren nur wenige Schaulustige zu dem erwartete Spektakel nach Vinsalt gereist).
Schon begannen sich die Vinsalter Teestuben wieder zu lichten, als am 20. Hesinde die Opernfestspiele erneut in die Stadt der Horas riefen. Wie immer war das berühmte Haus am Theaterplatz ausverkauft, doch verzichtete die Kaiserin auf ihre Anwesenheit bei der Eröffnung der Festspiele - ein noch nie dagewesener Skandal! Auch über die zahlreiche anwesende Prominenz mochten sich die Künstler aber nicht so recht freuen, galt die Aufmerksamkeit der Zuschauer doch weit mehr den stets geöffneten Fenstern im Osten, wo sich stolz und erhaben, doch stumm der Palasthügel erhob.
Auch die Opernfestspiele gingen zu Ende - das riesige Tor des Schlosses blieb weiter verschlossen, und am Abend des 29. Hesinde hatte die Horasgarde einige Mühe, den Aufstand mehrerer Dutzend aufgebrachter Bürger, die eine finstere Verschwörung befürchteten, unblutig zu beenden.

Schließlich machten sich auch die standhaftesten (und reichsten...) Besucher bereit für den Aufbruch, so daß die feierliche Prozession anläßlich des Erleuchtungsfestes durch die Straßen der Altstadt ungewöhnlich viele Gläubige anzog - darunter nicht wenige, die sich tatsächlich ein Zeichen und eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des letzten Mondes erhofften. Doch als zur Mittagszeit des ersten Firunstages die letzten Kutschen die Tore der Stadt passiert hatten, wirkten die Straßen Vinsalts wie ausgestorben, und das Interesse an den Geschehnissen im Horaspalast begann allmählich abzuflauen, machte gar düsteren Gedanken und Ahnungen dräuenden Unheils Platz.
Erst zu den Feierlichkeiten am 19. Tsa, dem Tag der Unabhängigkeit, verstummten schlagartig alle Gerüchte, als plötzlich zur zweiten Hesindestunde, kurz nach dem sechsten Glockenschlag und dem Erscheinen Hesindes an der berühmten Uhr des Vinsalter Rathauses, aus vielen Kehlen ein fassungslose Rufe erschollen. Hunderte Arme zeigten zum Palasthügel hinauf, zu den kaiserlichen Zinnen: Regenbogenfarbener Rauch stieg dort auf - das heißersehnte Zeichen der Geburt eines künftigen Thronerben!

Nach einigen Augenblicken erschrockenen Schweigens brandete erlösender Jubel auf. Hunderte, Tausende strömten der kaiserlichen Residenz zu, deren Tore nun weit geöffnet waren, und der Klang dutzender Fanfaren und Trompeten brandete ihnen entgegen. Kaum ein Wassermaß dauerte es, bis der Platz vor dem Schloß zum Bersten gefüllt hatte und sich endlich die Tore zur kaiserlichen Terrasse öffneten. Atemloses Staunen legte sich wie Borons Mantel über die Mange, stand dort doch niemand geringeres als die junge Mutter persönlich, blaß zwar und gestützt von Abtprimas Eternenwacht und Magistra Rinaya von Punin, der engen Freundin der Cronprinzessin, doch mit einem strahlenden Lächeln überderischer Glückseligkeit im Gesicht und einem kleinen, in blau-goldenen Samt gehüllten Bündel auf den Armen. Sechs weitere Fanfarenstöße ertönten, dann trat der Comto Herold Alricio ya Vardeen vor und verkündete mit fester Stimme: "Ein Thronfolger ist dem Reich geschenkt! Beugt Euer Knie vor ...!"
Vielstimmige Entsetzensschreie waren plötzlich zu hören - aller Augen richteten sich empor, während auf der Terrasse der rotierende Stab einer Maga zu sehen war, als sich ein länglicher Schatten langsam der Cronprinzessin näherte. Rotgolden glühten in der Abendsonne die Schuppen des ehrfurchtgebietenden Wesens, das achtlose einige menschenhohe Statuen mit seinem Schwanz beiseite schleuderte, ehe es sich auf der weiträumigen Terrasse niederließ. Fassungslos ließen die blau gekleidete Gardisten, die eben noch schützend vor die Prinzessin gesprungen waren, ihre Waffen fallen und wichen ehrfurchtsvoll zurück. Ihre Hoheit Aldare aber hob grüßend die freie Hand, dann schritt sie würdevoll auf den Drachen zu, denn ein solcher war der Fremde zweifellos. Über zwanzig Schritt maß er, und es brauchte nur wenige Augenblicke, bis alle Anwesenden begriffen hatten: Es war Shafir persönlich, der Gemahl der Cronprinzessin.
Gebannt hielt man den Atem an, wie der Prächtige nun agieren würde: War er nun der eifersüchtige Gemahl, der sich betrogen sah und nun auf Rache sann? Doch Shafir senkte huldvoll sein Haupt, das die Prinzessin vorsichtig, wie zum Gruße, berührte. "Seid mir gegrüßt, meine Gemahlin!", erscholl da die dumpfe, doch schmerzhaft eindringliche Stimme des Kaiserdrachen. "Ich beglückwünsche Euch" ... erleichtertes Seufzen der Menge ... "und kam, um meinen Sohn zu sehen und zu segnen." Diese Worte schlugen ein wie ein Hylailer Granatapfel. Erregtes Gemurmel steigerte sich zu hitzigen Wortgefechten, bis ein heiserer Schrei Magistra Rinayas die Aufmerksamkeit wieder auf den unerwarteten Besucher lenkte: Eine Tatze des Drachens, bewehrt mit gut armlangen Klauen, schoß vor und auf den Neugeborenen in der Mutter Arme zu. Doch fast behutsam war der Hieb, und nur die Umstehenden konnten eine kleine Wunde auf der Stirn des Thronerben erkennen.
Als sich die Angst der Anwesenden gelegt hatte, bot sich ihnen im sanften Licht der untergehenden Sonne ein malerisches Bild: Der Drache leckte sanft mit seiner Zunge über die eben geschlagene Wunde, dann sprach er feierlich: "Auf Dich und Dein Blut den Segen der Alten und Hohen - Seht meinen Sohn, Khadan Firdayon von Khômblick!"
Ja, Shafir hatte den Prinzen als seinen Sohn anerkannt, hatte ihn gezeichnet und benannt nach dem berühmten Ahnen der Firdayons, dem Befreier Yaquiriens. Der geneigte Leser möge mir verzeihen, doch fehlen mir schlicht die Worte, um den Jubel der Menge zu beschreiben. Fast möchte man meinen, diese mysteriöse Geburt sei ein Zeichen für eine neue Ära, den Anbruch eines neuen Zeitalters für das Reich des Horas.

* fama steht im Bosparano für 'Gerücht, Gerede, Volksstimme'
** Bosparano: 'Nichts ist schneller als das Gerücht.'

Gregor Rot