Märkische Postille
Periodicum der Alten Mark - Gazette der Chababischen und Drôler Lande
Eine neue Halle des Drachen

Landstadt Thegûn. Beunruhigende Zwischenfälle stören den Wiederaufbau der großen Kuppel des Thegûner Oktogons, während sich ein Streit zwischen Draconitern und ODL anbahnt.

Im späten Rondramond des 1020ten Götterlaufes nach dem Fall der Hunderttürmigen kam es zu jener folgenschweren Brandkatastrophe im Oktogon zu Thegûn, dem Haupthaus des Draconiterordens, über deren Ursache sich die Ordensoberen bis heute in eisiges Schweigen hüllen. Bei dem schrecklichen Feuer waren zwar - Hesinde sei Dank! - keine Todesopfer zu beklagen, und auch die Bibliothek blieb auf wundersame Weise verschont, doch stürzte über der Halle des Drachen aus 27 Schritt Höhe die gewaltige Kuppel mit ihrem berühmten Deckenfresko von Famerlor und Pyrdacor herab und begrub unter sich die Statue der Heiligen Herrin Hesinde vom Guten Rat ebenso wie die Steintafel der heiligen Canyzeth. Letztere konnte - wenngleich nur in sechs Teilen - aus den Trümmern geborgen werden, das Standbild wird aber auf alle Zeiten verloren sein.
Da das schändliche Brandmal in Thegûn klaffte wie eine schwärende Wunde, dauerte es nicht lange, bis der Beschluß eines Neubaus gefaßt war. Das Gold dafür war rasch beisammen und kam aus den Cassen der Draconiter, der Hesindekirche und der Landstadt gleichermaßen - doch noch war sich der Orden nicht einig, welchem Architekt und Baumeister der Auftrag erteilt werden sollte, zumal auch die Geldgeber aus Kuslik und Thegûn hier mitentscheiden wollten. Auch die Gestalt der neuen Kuppel war keineswegs unumstritten: Viele plädierten für eine Rekonstruktion nach den alten Plänen, andere hielten dagegen, daß dies der Göttin wohl kaum gefällig wäre, man solle vielmehr nach neuen Ideen streben.
Erst Monde später war endlich der Entschluß gefaßt: Erzabt Eternenwacht entschied sich für die Beibehaltung der alten Form, da "das Oktogon in seiner Planung ein Gesamtkunstwerk darstellt, das nicht durch einzelne Meisterwerke zerrissen werde dürfe, die andere Teile zu übertreffen suchen". Bei der Wahl des Baumeisters konnte letztlich doch Maestro Dolpholan da' Marascenta seinen Einfluß als Stadtmeister von Thegûn geltend machen, womit die Thegûner Baumeisterin Hesindÿana Pertruccio die schwere Aufgabe übernahm. Ihren statischen Berechnungen zufolge sollte als einzige Neuerung eine verbesserte Verteilung des Kuppelgewichts auf die stützenden Mauern erfolgen, um so die Erkenntnisse aus den eben offenbarten Schwächen der Konstruktion zu berücksichtigen.
Obwohl aber die Bauarbeiten noch im späten Herbst desselben Jahres mit vollem Eifer aufgenommen wurden und auch in den folgenden Wintern nicht zum Erliegen kam, konnte das große Vorhaben doch bis zum heutigen Tage nicht vollendet werden. Gründe dafür gibt es gar viele - zu viele, murren bereits mißtrauische Münder, um die zahlreichen Zwischenfälle noch schlicht einer bösen Laune des Schicksals zuschreiben zu können. Der Todessturz zweier Arbeiter vom hohen Gerüst mag keine Seltenheit bei einem derartigen Unternehmen sein, doch daß Meisterin Pertruccio, als rüstige und gewissenhafte Frau bekannt, für beinah einen halben Götterlauf von einer seltsamen Sieche ans Bett gefesselt war und sich zudem bei ihren Berechnungen geirrt haben soll - sind doch im vergangenen Jahre Teile der Krypta, die dem Bauwerk als Fundament dient, unter dem Gewicht der Mauern eingestürzt -, erregte in der beschaulichen Landstadt einige Zweifel.
Zwar ist man sich allgemein einig, daß ein Zusammenhang mit den zerstörerischen Kräften, die für den Fall der Kuppel verantwortlich waren, kaum bestritten werden kann, doch kursieren Gerüchte in Thegûn, daß eine Aufklärung der seltsamen Ereignisse bisher am Baron von Kabash, Seiner Hochgeboren Dom Ezzelino da' Malagreía, scheiterte. Dieser soll nämlich die Untersuchung in die Hände des Ordens der Grauen Stäbe gelegt haben - mit dem langfristigen Ziel der Errichtung einer Ordensniederlassung in der Capitale seines Lehens. Was nun aber der ODL mit den Bauarbeiten an einem Haus der Draconiter zu tun hat, und warum sich angeblich die beiden Orden um die Zuständigkeit der Ermittlung beinahe streiten, kann nicht einmal gemutmaßt werden...

Gregor Rot