Bosparanisches Blatt
Königreich Aranien - ein horasischer Erfolg
Ein Gespräch Alricilians von Veliris-Carinto mit Sumudan von Aldyra

Nachdem diverse Berichte und Geschichten über die Unabhängigkeit Araniens kursieren, aufgewühlt durch die jüngsten Äußerungen aus Gareth, wollen wir etwas zum besseren Verständnis tun. Wir haben Alricilian von Veliris-Carinto, der uns bereits während des Friedenskongresses in Oberfels hilfreich Rede und Antwort stand, gebeten das Gespräch mit Cavalliere Sumudan von Aldyra zu suchen. Der einstige Agent in Aranien und heutige Director für Besondere Angelegenheiten empfing Esquirio Alricilian in seinem Amtspalazzo in Vinsalt.

Der Cavalliere hieß mich gleich in der Eingangshalle willkommen. Lange ist es her, daß wir gemeinsam die Bank in der Rechtsschule zu Vinsalt drückten, entsprechend herzlich war die Begrüßung. Nach einem kurzen privaten Gespräch führte mich der Cavalliere in sein Besprechungszimmer. Nachdem ein Diener Kusliker Küchlein und Bomeder Wein gebracht hatte, konnte das Gespräch beginnen.
"Sumudan, als Agent in Zorgan ward ihr sozusagen das Ohr Vinsalts. Mehr als einmal fanden in Eurem Beisein Gespräche zwischen Yaquiria und Aranien statt. Ihr seid also eine Autorität in diesen Fragen. Doch bevor wir auf die jetzige Situation zu sprechen kommen, gebt uns doch zunächst bitte eine kleine Einführung."
"Gern, Alricilian", der Director lehnte sich zurück, "Fünfundzwanzig Jahre ist es jetzt her, daß die reiche und mächtige Provinz Aranien unter der Verwaltung Fürstin Sybias dem Mittelreich den Rücken kehrte. Schon damals drohten die Diplomaten König Tolmans mit einem Zweifrontenkrieg, sollte sich Kaiser Hal für einen blutigen Waffengang gegen Aranien entscheiden. Der junge Kaiser, gerade erst vom Maraskan-Gemetzel aus Jergan zurückgekehrt, scheute einen weiteren Krieg. Aranien war frei." "Das Mittelreich sah das aber damals etwas anders, nicht wahr?"
"Nicht die Verantwortlichen. Sie waren sich der Lage wohl bewußt."
"Wenngleich die Geschichtschroniken des Mittelreiches diese Tatsache etwas anders sehen. Dort heißt es bis heute: In einer geschichtsträchtigen Erklärung proklamierte Fürstin Sybia die Unabhängigkeit des Seerosenthrones, ohne dabei nominell die Zugehörigkeit zum Kaiserreich zu widerrufen."

"Ja, das sollte aber wohl nur eine Verschleierung sein", der Cavalliere lächelte, "Die Gelehrten der Universität von Al'Anfa und im Hesindekonzil zu Kuslik sahen darin Methode. Schon Jahrzehnte zuvor wurde dies sowohl bei der Lösung Al'Anfas, wie auch Vinsalts propagiert. 'Die Kaiser Gareths gebrauchen eben immer etwas länger, bis sie die Wirklichkeit verstehen', witzelte damals schon die ganze Welt. Und bis heute hat sich daran nichts geändert."
Ich beglückwünschte den Director, für diesen gelungenen Witz und nahm noch eine Stück von dem Kusliker Küchlein, bevor ich mit dem Gespräch fortfuhr. "Und wie, verzeiht", ich mußte noch einmal schlucken, "wie war die Beziehung nun zu Aranien?"
Der Cavalliere überlegte kurz, bevor er antwortete: "In den verstrichenen 25 Jahren, in denen sich die Herrscher in Gareth die Wunden leckten, wurden die Beziehungen zwischen den beiden Abtrünnigen, ich will sie einmal so nennen, Vinsalt und Zorgan, immer enger. Unser gemeinsames Schicksal verband. Zudem hatten beide Herrscherinnen gerade erst die neue Verantwortung übernommen. Königin Amene folgte ihrem Vater nach, Fürstin Sybia regierte nun allein. Die große Entfernung zwischen beiden Reichen verhinderte zwar eine all zu starke Verbundenheit, doch wußten wir einen Freund auf der anderen Seite des Kontinents. Lange Jahre währte diese Freundschaft, ohne das die Kaiser in Gareth auch nur das geringste daran hätten ändern können. Sie hielten sich und ihre Untertanen mit hohlen Worten und leeren Phrasen bei Laune."
"Dieser Status Quo sollte doch dann irgendwann enden."
"Stimmt, Alricilian, mit der Horaskränzung Amene-Horas sollte sich die Welt verändern. Nun endlich wurde auch dem letzten mittelreichischen Bauern im abgelegenen Weiden klar, daß der Glanz des Reiches Rauls schon längst verblaßt war. Der Unmut in Adel und Bürgertum wuchs. Zunehmend wurden Stimmen in Albernia, Almada, Tobrien und Darpatien laut, die von einer Loslösung sprachen. Man wollte es Aranien und dem Alten Reich gleichtun. Mit dem Verschwinden Kaiser Hals war nun endlich der geeignete Zeitpunkt gekommen. Einzig Graf Answin versuchte noch die Einheit zu erhalten."
"Graf Answin?"
"Ja, Alricilian, der Graf von Wehrheim." Der Cavalliere besah seine Fingernägel. "Vermutlich die mißverstandenste Gestalt in der mittelreichischen Geschichte seit Rohal."
"Sumudan, seid Ihr sicher, daß wir von ein und demselben Answin sprechen?" Ich war etwas ungläubig.
"Natürlich. Er hat zwar seine Fehler und auch an der Krise von Aranien war er nicht ganz unschuldig, aber nach dem Verschwinden Hals wäre das Reich endgültig zusammengebrochen, hätte nicht einer schnell die Zügel in die Hand genommen. Diesen Jüngling Brin nahm doch damals niemand ernst."
"Und doch wurde er der Reichsbehüter!"
"Wir kommen zwar etwas ab vom Thema Aranien, aber laßt mich dazu eines sagen: Brin nutzte den blinden Eifer einiger Barone und erklärte Answin zum Reichsfeind Nummer Eins, gegen den sich dann alles erhob. Nach dem Sieg hatte der junge König zwar seinen Thron wieder, aber noch längst nicht das Reich, denn die Fürsten wollten für ihre Hilfe nun einen Ausgleich. Den sollte es aber nicht geben. Stattdessen fielen die Orks ins Reich ein und von Sezession war keine Rede mehr."
"Wollt Ihr etwa behaupten, daß Brin etwas mit dem Einfall der Orks in sein Reich zu tun hatte?" Ich blickte den Director entsetzt an.
"Ich behaupte gar nichts. Ich weiß nur, daß von seinem Reich gar nichts übrig geblieben wäre, wenn die Orks nicht eingefallen wären. Außerdem haben sich die Schwarzpelze doch ziemlich dämlich verhalten, als es darum ging Gareth zu überrennen, nicht wahr? Aber zurück zu Aranien!"
"Wie? Ja." Ich war noch etwas verwirrt und blickte auf meinen Fragenzettel. "Wieso gerade jetzt, dieser Schulterschluß mit Aranien?"
Der Cavalliere lächelte süffisant. "Weil dem Reichsbehüter keine Wahl mehr blieb."
"Hatte er den vorher eine Wahl?"
"Er wollte zumindest nicht öffentlich zwei Schlappen auf einmal einstecken. Oberfels wird für ihn schon zu einem Desaster. Ein Eingeständnis, daß auch Aranien endgültig und für immer aus dem Reich fällt, konnte und wollte er sich und seinen Untertanen nicht geben."
"Trotzdem tat er es?"
"Wie gesagt, er hatte keine Wahl."
"Und warum nicht?"
"Weil unsere Agenten in Gareth verbreiten ließen, daß Kaiserin Amene Fürstin Sybia die Heirat zwischen Prinzessin Dimiona und Prinz Timor nahelegen wollte. Eine solche Bindung zwischen beiden Reichen durfte es aber in den Augen Brins niemals geben. Die Gefahr wäre einfach zu groß gewesen. Man stelle sich ein echtes Bündnis zwischen Aranien und Yaquiria vor, besiegelt durch eine dynastische Heirat. Welch Vorstellung." Der Cavalliere grinste.
"Aber es gibt doch ein Bündnis zwischen beiden Reichen!?"
"Psst, verratet doch nicht das größte Geheimnis Aventuriens. Behüter Brin könnte nicht mehr schlafen. Nein, aber im Ernst. Natürlich gibt es ein Bündnis zwischen unseren Reichen. Und natürlich haben wir die Gerüchte mit Billigung von Fürstin Sybia verbreitet. Unser Plan ging ja schließlich auch auf. Niemals zuvor in der Geschichte Aventuriens gab es solch überstürzte Unabhängigkeitsverhandlungen. Hättet Ihr gedacht, daß Reichsbehüter Brin so schnell eine Entscheidung treffen kann?"
"Äh, ich kenne ihn zu wenig..."
"Alricilian, Ihr denkt zu eindimensional. Deswegen seid Ihr heute auch nur 1ter Schatzmeister Yaquirias, ich hingegen Director des Horasreiches."
Ich mußte mich beherrschen und würde am liebsten erzählen, daß Sumudan die Rechtsschule überhaupt nur bestanden hat, weil ich ihn abschrieben ließ. "Aber warum ausgerechnet ein Königreich Aranien?"
"Na, das liegt doch auf der Hand. Seit Aranien dem Mittelreich angehörte unterdrückte die Oberherrschaft der Kaiser die männliche Thronfolge. Allein die Frauen der Aranischen Prinzen regierten unter dem Titel einer Fürstin das Land. Nachdem nun aber vor 25 Jahren der Unabhängigkeitsprozess eingeleitet wurde war diese Oberherrschaft aus Gareth vorbei. Es war also nur eine Frage der Zeit bis der junge Prinz Arkos den Titel eines Aranischen Königs annehmen würde."
"Und was hat nun die horasische Diplomatie dazu getan?"
"Zur Krönung Arkos' weniger, die wäre früher oder später auch ohne unsere Intervention erfolgt. Nein, unser Erfolg liegt in der Stellung des Reichsbehüters. Noch zögerte er den Horas-Titel Kaiserin Amenes anzuerkennen. Er war eher bereit dazu das westliche Almada abzugeben, als sich "formell" einem Horas zu unterstellen. Nun aber wird er vielleicht sogar der Krönung des Aranischen Kronprinzen beiwohnen. Ein so gebrochener Herrscher akzeptiert auch eine verheiligte Kaiserin."
"Ist das nicht etwas weit hergeholt, Sumudan?"
"Einen Tag nach den Heiratsgerüchten erließ König Brin den Aranien-Erlaß. Er konnte eher mit einem 'freigelassenen' Aranien leben, als mit einem erzwungenen Königtum. Das er nun trotzdem endgültig als der unfähige Monarch, der er immer war, dasteht, scheint er nicht zu realisieren."
"Aber eigentlich sollten wir als liebfelder froh über so einen Reichsbehüter und vielleicht späteren Kaiser sein?"
"Natürlich, Alricilian. Die Götter mögen ihm ein langes Leben schenken. Auf das er noch als tatteriger Greis in seinem Marmorpalast in Gareth herrschen mag."
"Vielen Dank für dieses Gespräch." Ich nahm mir noch ein Küchlein.

Andree Hachmann