"Das Teuerste, die jugendliche Blüte ihres Reiches..." Von einer unerwarteten Hilfe
Als König Brin die Kapelle verließ, war PRAios bereits am Horizont aufgezogen. Er, der Reichsbehüter des Neuen Reiches und Erbe von Rauls Stuhl, hatte sich wie jeden Morgen in die Burgkapelle zu Praske begeben, um die Messe der PRAiosdiener zu hören und für das Seelenheil seiner Soldaten zu beten. Nun durchschritt er den Torbogen des alten Gemäuers, an dessen Fassade sich dunkler Efeu bis zum Dachfirst hinauf rankte, und sog die kühle Morgenluft ein. Als er wieder ausatmete, betrachtete er die kleinen Dampfwölkchen, die vor seinen Lippen entstanden. Der BORonmond war eine rechte Zeit zum Sterben. Nicht fern von hier, ein wenig rahjawärts, standen sich tatsächlich die Heere gegenüber, Licht gegen Finsternis. Und er mußte an diesem Ort warten. Warten, bis daß sein Kronrat zusammengetreten und ihn mit den so dringend benötigten Truppen, Troßzügen und Soldgeldern versorgt.
Der König schüttelte den Kopf. Er wollte sich nicht von der Trübsal einfangen lassen. Denn das würde niemanden weiterbringen. Also holte er noch einmal tief Luft, und als der kalte Hauch seine Lungen erfüllte, wurde er wieder seines Gefolges gewahr. Um ihn herum standen zahlreiche Edle seines Reiches, die teils besorgt, teils gleichmütig zu ihm hinsahen. Brin ließ seinen Blick schweifen. Da waren Vogt Ungolf von Hirschfurten, sein Reichs-Truchseß, und Prinz Hartuwal Gorwin von Großen Fluß, sein Reichs-Kanzler, und auch Graf Orsino von Falkenhag, der Groß-Siegelbewahrer, Rondradan von Gareth-Streitzig, sein Cousin und Verweser der Mark Osterfelde, Finn Ui Cuimball, der Hauptmann seiner Leibgarde, sowie Magistra Lysmina Jannerlo, die Hofgeweihte des PRAios. Hinter diesen, die eng bei ihm standen, hielten sich die niederen Würdenträger auf, die Hofschranzen und das unerläßliche Dutzend Gardisten mit dem Pantherwappen. Gerade traten die drei Hofzauberer in ihren goldbestickten Roben wieder dazu, und es sah so aus, als wollte der alte Virylis Eibon das Wort an ihn, den Reichsbehüter, richten. Brin reckte sich und gab dem Magier durch eine leichte Neigung des Kopfes ein Zeichen der Zustimmung.
"Euer Allerzwölfgöttlichste Majestät!" Da, plötzlich, waren mit eben diesem Ruf zwei junge Männer zwischen die herannahenden Zauberer und den König gesprungen. In derselben Bewegung fielen sie bereits auf die Knie und beugten ihre Häupter auf dieselben. Hauptmann Ui Cuimball griff nach dem Schwert und die Panthergardisten taten es ihm gleich. Brin wich zurück, von seinen Mannen schützend umgeben. Erst als Ui Cuimball sah, daß sich die beiden Eindringlinge nicht rührten, und er ein beruhigendes Kopfschütteln Meister Eibons erhaschte, schaute er fragend zum König. Jener straffte sich in diesem Moment und bedeutete seinem Gardehauptmann durch eine abwinkende Handgeste, daß er keine Gefahr für sein Leib und Leben befürchtete, worauf dieser wiederum den Gardisten befahl, ihre Waffen wegzustecken und ruhig, aber wachsam - und er verlieh diesem Wort eine unmißverständliche Betonung - auf die alten Posten zurückzukehren.
" Euer Majestät, das ist ein Bruch des Hofzeremoniells," es war der Truchseß von Hirschfurten, der so sprach. "Ihr solltet den Beiden die 100 vorgeschriebenen Stockhiebe erteilen lassen und sie davonjagen."
Doch der Reichsbehüter hatte kaum zugehört: "Wer ist das? Sagt Uns, ob Wir sie kennen müssen."
Graf Orsino gab die Antwort: "Ihre Wappen sind nicht von hier. Es müssen Altreicher sein, mein Reichsbehüter."
"Altreicher? Wir haben die Delegaten Unserer Schwester Amene erst in einer Woche erwartet." Brin verzog die Miene zu einem Grübeln.
"Euer Allerzwölfgöttlichste Majestät, mein allerprinzlichster König, verzeiht..." Des Hofgefolges Augen fuhren zu einem Mann mittleren Alters in der goldroten Kutte eines einfachen PRAiosmönchs, dem sein Haar schon licht vom Kopfe wich. Es war Bruder Teûgar, der Caplan von Praske.
"Sprecht, Euer Gnaden."
"Dies sind Gareno Dracorio von Veliris" - er wies auf den schwarzhaarigen Jüngling - "und Geron Cornaro von Berlînghan und Tikalen," - er deutete auf den Blondschopf daneben - "die Erben zweier mächtiger Barone aus dem Lieblichen Feld. Sie sind bereits vor vier Tagen hier eingetroffen und halten seitdem eine Schild- und Ehrenwache vor meiner Kapelle. Die jungen Edlen haben glaubhaft bezeugt, wichtige Kunde für Euer Kaiserliche Majestät zu haben, und einen heiligen Eid auf das Buch der Sonne und den Altar geleistet, nicht eher mit dem Fasten aufzuhören noch zu ruhen, als bis sie Euch sprechen konnten."
König Brin sah seine Geweihte Lysmina zustimmend nicken, und auch Graf Orsino, der ein frommer Mann war, senkte ernst sein Haupt. "Nun gut, tragt vor, was ihr zu sagen habt. Doch wisset, daß Wir ein weitere Entgleisung nicht dulden werden." Die Stimme des Prinzen war scharf, als er wieder sprach.
"Euer Allerzwölfgöttlichste Majestät, ich, Geron von Tikalen, überbringe Euch, dem Reichsbehüter und König von Gareth, die allerherzlichsten Grüße unserer Herrscherin Amene-Horas, und auch den freundlichen Gruß des alten Hauses der Berlînghan und Eurer Verwandten Cillyina von Streitzig-Phecadien."
"Für die Grüße seid bedankt." Des Königs Stimme war streng, wie es die Etikette gebietet. "Doch sagt, Geron von Tikalen, seid Ihr etwa vom Stamme jenes Broderico von Tikalen, der Unsere Frau und Königin vor der versammelten Edlenschar Unseres Reiches zu Gareth vor zwo Götterläufen schmähte? Und bedenkt wohl, was Ihr jetzt sagt!"
"Euer Majestät, es ist wahr. Der Baron Broderico war mein Vater."
Der Reichs-Kanzler riß die Augen weit auf, und die Ungeduld war ihm anzumerken, doch wagte er es nicht, dem Jüngling ins Wort zu fallen, denn sein König ließ diesen weitersprechen.
"Er hat Eurer Gemahlin Unrecht getan und Eure Edlen fälschlich gezeiht. Seid versichert, großer König, daß es ihm nachgerade leidgetan. Frieden habe er stiften wollen, und nicht Haß, er hat es immerfort gesagt. Doch das Mißtrauen auf beiden Seiten habe ihm keinen Erfolg gegönnt. Und dann hat er die Beherrschung verloren. Das war unziemlich, gewiß. Doch ist mein Vater stets ein aufrechter Rondrianer gewesen, und keine Schmach konnte er unbeantwortet lassen. Wie dem auch sei, es ist vorbei. Seine Sühne war bitter, denn er starb in der Kabashpforte vor drei Monden. Als Ardarit und Lehnsmann ließ er sein Leben für RONdra und Reich gegen die Schergen des Schwarzen Borbarad. Herr Dapifer, der Meister des Alten Reiches, hat uns versichert, daß er jetzt an der Leuin Tafel weilt."
Für einen Moment ward es ruhig, als die versammelten Großen bei sich ein Rondramituns murmelten. Dann wandte sich der Reichsbehüter wieder an den jungen Geron.
"Wir haben Uns mit Unserer Schwester Amene ausgesöhnt, darum wollen Wir auch Eurem Vater verzeihen, wie sie ihm verziehen. Auch hatten Wir noch nicht gehört, daß der Zwölfmalverfluchte auch in ihrem Reiche umgeht. Es erschreckt Uns, aber es erstaunt Uns nicht. Nun hebt Euer Haupt, mein Sohn, und tragt Euer Anliegen vor, wegen dem Ihr gekommen seid."
Der Blondschopf hob seinen Kopf leicht, so daß ihm der König in die Augen schauen konnte. Sie waren ein wenig feucht, da er seines Vaters gedachte, und mit dunklen Ringen der Ermüdung versehen, doch leuchtete aus ihnen auch ein Glanz, der entschlossen auf ein fernes Ziel gerichtet war. Dann sprach er weiter, und seine Stimme war ernst und feierlich:
"Großer König, es ist wahr, daß Herr Borbarad der Dämonenmeister kein Land Aventuriens mit seinem Haß verschont. So hat er wohl auch versucht, das Königreich der Yaquirier mit Böser Zauberei zu bezwingen. Mein Vater war unter denen, die fielen, ihn daran zu hindern. Maraskan hat Er gewonnen und den Osten Eures Herzogtumes Tobrien. Nun seid Ihr es, der Ihr gegen Ihn steht. Auf Eurem Boden wird die Entscheidung erbracht werden.
Wisset, Euer Majestät, noch nie war Yaquirias Adel reicher, voll junger Edler so wie wir, die ihre Herzen schon an Eurer Seite wußten, auch wenn ihre Körper andernorts gelagert waren. O laßt die Körper ihnen folgen! Wir sind gekommen, Euch diese Frauen und Männer zuzuführen, und bitten Euch inständig: Laßt uns mit Euch wider den Großen Verderber streiten!"
"Wieviele seid ihr?" Die Verwunderung war dem Reichsbehüter anzumerken.
"Einhundertundfünzig von Adel, Euer Majestät, die ihr Land und ihre Familien verlassen, um Euch eine Hilfe zu sein. Sie haben alles aufgebracht, was sie vermochten. Das sind zweihundertundsechzig Kriegerinnen und Krieger, gerüstet und gepanzert. Dazu zweihundert Streiter, auch Knappen und bewaffnete Bürgersleut, die sich uns auf dem Wege angeschlossen haben. Auch wenn sie nicht erfahren sind, so sind sie umso mutiger und vom heiligen Feuer entfacht. Wir sind ihnen in scharfem Ritte vorausgeeilt. Dennoch werden sie binnen Wochenfrist hier sein."
"Ein Heer von über fünfhundert Altreichern durchstreift unser Reich! Euer Majestät, ich..."
Die erhobene Hand des Königs gebot dem Reichs-Kanzler Einhalt. "Wir freuen Uns,", sprach der König, und seine Stimme war gnädiger als zuvor, "doch haben Wir solche Hilfe von Unserer Schwester Amene nicht erwartet."
"Euer Majestät, mit Verlaub, wir kommen nicht auf Behufe unserer kaiserlichen Gebieterin, sondern aus eigenen, freien Stücken."
"Und warum kommt ihr dann zu Uns?"
"Herr Jariel und Frau Ayla sind bereits an Eurer Majestät Seite. Darum ist es eine heilige Sache, und ihr gilt unser Schwur. Und Euch, der ihr sie in der Zwölfe Namen vorantreibt."
"Dann freuen Wir Uns wirklich und wahrhaftig, daß ihr zu uns kommt. Wer ist Euer Führer?"
"Euer Majestät, wir haben keinen. Wir möchten uns einen erkiesen, sobald wir unsere Zelte bei Eurem Banner aufgeschlagen haben."
"Dann werden wir Euch einen erfahrenen Kommandanten stellen. Ich denke, mein guter Tiro..." Suchend sah sich der Prinz umher und hielt nach dem Freiherren von Fuchshag Ausschau.
"Verzeiht, Euer Majestät, aber wir können keinen Eurer Befehliger über uns dulden, das sind wir unserem Vaterlande schuldig. Wir alle haben auf die Heilige Sache geschworen, und sind bereit, desgleichen auf Eure Kaiserliche Person zu tun. Ihr mögt unser oberster Kriegsherr sein, doch keiner darunter."
Und abermals fuhr der Truchseß auf: "Mein Reichsbehüter und König, das ist dreist, Ihr solltet sie züchtigen!"
"Schweigt, Hirschfurten, und auch Ihr, Prinz Hartuwal! Vernehmet, daß es Uns gefällt, den Wünschen des hier anwesenden Geron von Tikalen zu entsprechen. Das Hilfsheer mag seinen eigenen Führer wählen, der Uns dann den Treueschwur leistet. Daraufhin soll dieser sein eigenes Feldzeichen gerade unter Unserem führen, wenn Wir Uns in die Schlacht begeben."
Er wandte sich dem Markverweser Rondradan von Gareth-Streitzig zu. "Ihr sorgt für Unterkunft und bereitet alles an Stall und Gastung vor, was die Heerschar benötigen wird. Herr Geron, Herr Gareno, ihr dürft Euch mit meinem Cousin entfernen."
Die Angesprochenen verneigten sich tief und verließen den Platz. Des Königs Entschluß war unumstößlich. Als seine Räte ihn noch einmal bedrängten, sprach Brin, der Reichsbehüter, in leisem Tone: "Ihr solltet Euch an diesem Opfermut ein Beispiel nehmen, und auch von denen, die noch zaudernd und feilschend fernab stehen, wünschten Wir Uns, sie wären nur ein Zoll Mann so wie diese.Diese tapferen Leute geben Uns das, was Wir mit Gewalt niemals hätten haben können: Das Teuerste, die jugendliche Blüte ihres Reiches."
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