Bosparanisches Blatt
Diener zweier Könige
von
Gerilian von Torrem

Viel wurde in den letzten Tagen und Monden über die alten Grötzschen Ländereien gesprochen, die doch seit dem Friedensschluß zu Weidleth auf dem Prüfstand stehen. So machten es die Vinsalter Unterhändler zur Bedingung des Friedens altes Unrecht zu tilgen, um das Fundament der Freundschaft festzustampfen, wie es der Herzog von Grangor zu Oberfels selbst formulierte. Doch um was geht es? Kaum einer kennt sich auf diesem Gebiet aus, und so befragten wir wieder einmal den Comto Schatz-Canzler, Tarin Salquirio von Salicum-Selzin zu diesem Thema. Denn wer, wenn nicht er, könnte uns eine bessere Schilderung der Lage aufzeigen.

So stand ich erneut in der Halle des mächtigen Palazzo Salicum und bewunderte die Fresken, die zu Zeiten Königin Kusmaras angebracht wurden. An einigen Stellen war die Farbe aber schon leicht vergilbt und verblaßt.
"Ja, ja Gerilian, das Haus Galahan hat schon bessere Zeiten gesehen", schreckte mich da der Comto Schatz-Canzler aus meinen Gedanken auf. Comto Tarin kam gerade die prächtige marmorne Treppe herab. Wie stets in die feinsten Stoffe gewandet, das weiße Haar streng nach hinten gekämmt und den beinenen Stab mit dem Silberknauf lässig in der Hand.
"Galahan? Ihr seid ein Mitglied der Familie Galahan?"
"Ach, Gerilian, doch nicht ich, dieses Haus." Comto Tarin wies mit seinem Stock durch die ganze Halle. "Der Palazzo Salicum ist einer der ältesten Sommerpaläste der Fürsten von Kuslik. Lediglich ein Flügel steht dem Haus Salicum zu. Doch seit der Entrechtung der Galahans bleibt auch das Gold aus, daß sonst zur Erhaltung des Palazzos aus Kuslik kam. So vergehen eben diese Kunstwerke aus der Anfangszeit des Königreiches am Yaquir. Das ist eben der Preis für diesen Horaswahn." Der Comto Schatz-Canzler des Königreiches Yaquiria verzog den Mund zu einem zerknirschten Lächeln.
"Könnt Ihr nicht selbst das Gold für die Restaurierung aufbringen", fragte ich ganz unschuldig, wohl wissend, daß der Signor von Salicum als ein ausgemachter Geizhals gilt, und diesem Ruf seinen Posten zu verdanken hat, wie Spötter immer wieder gerne betonen.
"Lieber Gerilian, Ihr überschätzt meine finanzielle Größe um mehrere Stufen. Dieses Haus ist viel zu groß für einen armen Signore, wie ich es bin, um es gebührend zu erhalten. Ich werde Euch während unseres kleinen Gespräches herumführen, damit Ihr Euch ein Bild machen könnt." Der Comto Schatz-Canzler schritt auf eine große offene Flügeltür zu. "Die Garlischgrötzschen Güter interessieren Euch also, Gerilian?"
"So ist es Euer Excellenz. Kaum ein anderes Thema beherrscht die Gespräche in den Salons im westlichen Teil des Kontinents so sehr, wie die möglichen Konsequenzen des Passus Firunis, aus dem Vertrag von Oberfels."
"Kein anderes Thema?" Der Comto Schatz-Canzler hob erstaunt die weißen Brauen.
"Ihr habt recht wie immer Comto Tarin, die angebliche Schwangerschaft Prinzessin Aldares, mal ausgenommen."
Der Signor von Salicum nickte bestätigend, während er mich in einen weiteren riesigen Saal führt, dessen hohes Gewölbe von einer einzigen hellmarmornen Säule, mit allerlei Steinmetzarbeiten, getragen wurde. Durch drei hohe Mosaikfenster fiel allerlei farbiges Licht auf den glatten weißen Boden. "Der Kusmara-Saal", hallte die Stimme des Comto Schatz-Canzlers durch den großen Raum. "Wunderschön nicht wahr?"
"Kaum zu vergleichen."

"Ihr solltet den Saal erst einmal sehen, wenn PRAios im Westen im Meer der Sieben Winde versinkt. Ein unbeschreiblicher Anblick. Aber Ihr wolltet doch etwas über den Passus Firunis hören, nicht wahr?" Der Comto Schatz-Canzler sah mich herausfordernd an.
"Ja, so ist es, Euer Excellenz. Die Gerüchte wollen nicht abreißen und niemand scheint eigentlich wirklich etwas zu wissen. Was heißt es zum Beispiel das Erbrecht der Garlischgrötz zu prüfen."
"Seht, Gerilian, durch den Vertrag von Oberfels gilt nun wieder das gemeine Erbrecht, daß mit regionalen Unterschieden auf dem ganzen Kontinent gleich ist. Normalerweise gilt es auch grenzüberschreitend, denn was interessiert Familien die Grenze eines Königs? So ist es zum Beispiel gang und gäbe, daß die Großbauern aus der Cronmark Yaquirbruch auch ihre Ländereien in Amhalla oder Almada an ihre Kinder weitervererben."
"Und wieso wurde es nicht im Jahre 2244 Horas für die Garlischgrötzen Ländereien angewandt?" "Nun, weil der phexische Graf Leomar Garlischgrötz zu hoch gespielt und verloren hat."
Mittlerweile hatte mich der Comto Schatz-Canzler in das zweite Stockwerk des Palazzos geführt, wo er mich durch prachtvolle Säle auf einen Balkon führte, von dem aus man auf die Weiten des Siebenwindigen Meeres blicken konnte.
"Was für eine Aussicht, nicht wahr? Das Privileg der Fürsten von Kuslik und das der Signores von Salicum." Der Comto Schatz-Canzler fächerte sich mit der Hand leicht die luftige Brise zu. "Wo war ich stehengeblieben?"
"Bei Graf Leomar."
"Richtig. Graf Leomar sah die Chancen Graf Khadans und schlug sich nach anfänglichem Zaudern auf die Seite der Unabhänigkeitskämpfer. Doch durch sein Abwarten traute Khadan ihm zunächst nicht. So kam es, daß Leomar anstelle des Kaisertalers nur Fässer voll stinkendem Fisch nach Gareth schickte, um so seine Loyalität gegenüber Khadan zu beweisen. Ein Inrahzug der gelang, wurde Leomar später dann doch mit dem Herzogtum Grangoria belehnt. Der Graf von Phecadien hatte aber nicht mit dem Ärger des Kaisers gerechnet. Die stinkenden Fische sollen Eslam bis an sein Lebensende verfolgt haben, eine Schmach, die er nie verwunden haben soll. Und so kam es, daß Kaiser Eslam nach der unvermeidlichen Unabhängigkeit des Lieblichen Feldes, die Grafen Garlischgrötz entlehnte. Dabei ignorierte er auch geflissentlich die Huldigungsversuche des neuen Herzogs Leomar."
"Huldigungsversuche?"
"Ich sehe Gerilian, Ihr kennt Euch nicht sonderlich gut mit den Sitten und Gepflogenheiten der Könige und Kaiser aus." Der Comto Schatz-Canzler lächelte. Und noch bevor ich entrüstet ausweichend etwas sagen konnte, fuhr Comto Tarin fort.
"Fällt ein Kronvasall in Ungnade und verliert er sein Lehen, kann er vor seinen König treten und ihm seine Huld erweisen. Der König muß dann ob seiner ihm innewohnenden Königsmilde Gnade vor Recht ergehen lassen und die Ländereien an den treuen Lehnsmann zurückgeben. Aus diesem Grunde empfing Kaiser Eslam Leomar Garlischgrötz auch nicht. Ihm wäre nichts anderes übrig geblieben, als ihn erneut zu belehnen."
Ich sah den Comto Schatz-Canzler etwas fragend an.
"Ich lese in Eurem Gesicht Gerilian, daß Ihr meinen Ausführungen nicht ganz traut. Doch ich kann Euch versichern, daß das Haus Garlischgrötz nur aus gekränkter Eitelkeit bis heuer keinen Huldigungsversuch seit Leomar mehr unternommen hat. Da hilft auch keine Prüfung des Erbrechtes. Das klingt zwar alles sehr schön neubosparanisch, kann aber am Ende nur darauf hinauslaufen, daß Herzog Cusimo vor Kaiser Brin tritt, ihm seine Huld anbietet und damit die alten Länder seiner Ahnen zurückerhält. Da mag der nordmärkische und windhagsche Adel noch so lamentieren und zetern, diesen Regeln des Herrn PRAios werden sie sich letztlich auch nicht verschließen können. Heiliges Recht steht über den Regeln der Menschen. Zumal es nicht einmal ein formales Gesetz Kaiser Eslams gegeben hat, um dem Hause Grötz seine Ländereien zu nehmen."
"Vermutlich habt Ihr recht, Comto Tarin ..."
"Vermutlich? Gerilian, ich bitte Euch, sicher habe ich Recht. Jede andere Auffassung dieser Sachlage wäre von geradezu impertinenter Ignoranz und Dummheit untermauert."
Unbeirrt führte ich meinen Satz zu Ende: "... aber um welche Ländereien handelt es sich denn bei den Grötzschen Gütern?"

"Oh, das ist in der Tat eine Frage, die man prüfen muß. Da ungünstigerweise viele alte Dokumente verschollen oder zerstört sind, gilt es anhand von Überlieferungen und Randbemerkungen alter Texte, den genauen Umfang zu ermitteln. Ich selbst kann da keine Aussage zu machen."
Ich konnte meine Enttäuschung kaum verbergen.
"Aber, aber, Gerilian, seid nicht enttäuscht, für Euch will ich dann doch mal etwas orakeln, denn trotz meiner fundierten Kenntnisse kann auch ich nur spekulieren, welche Gebiete zu den ehemaligen Grötzschen Gütern gehören."
"Man sagt, es handele sich um ganz Windhag, weite Teile der westlichen Nordmarken und kaiserlich Phecadien in Almada."
"Was so geschrieben wird in den einschlägig bekannten Gazetten", winkte Comto Tarin ab. "Vergeßt nicht, Gerilian, die schreiben zumeist auch nur für ihr Publikum. Aber eines ist ganz großer Humbug, um es mohisch auszudrücken, ganz Windhag war niemals in der Hand der Grötz."
Der Comto Schatz-Canzler ging wieder in den Palazzo. "Seht, Gerilian, im Norden Windhags liegt Kyndoch, der Zankapfel Albernias und der Nordmarken, und das seit ungezählten Jahrhunderten. Im ganzen nördlichen Windhag, wird es, wenn überhaupt nur wenige Güter und Höfe der Grötz geben. Doch laßt uns zunächst in mein Kabinett zurückkehren, dort habe ich eine Karte anfertigen lassen, nachdem ich von Eurem Kommen hörte."
Gemeinsam mit Comto Tarin ging ich wieder zurück ins Erdgeschoß in das Amtszimmer des Comto Schatz-Canzlers, in dem er mich auch schon das letzte Mal empfangen hatte. Es war ein heller langgezogene Raum mit zahlreichen Regalen und Gemälden.
"Seht her, Gerilian." Auf einem Schreibpult lag eine Karte des westlichen Aventuriens. "Hier liegt Grangor, Phecadien, das Stammland der Garlischgrötz. Vor dem Unabhängigkeitskrieg gehörte das almadanische kaiserlich Phecadien ebenfalls zu der Grafschaft. Untergegangen ist die alte Baronie Windehag - und dabei handelt es sich natürlich nicht um das albernische Windehag - von der nur noch die gleichnamige Signorie in Nervuk übriggeblieben ist. Der Signor von Windehag ist der Sohn Marchese Zandors, Timon von Nervuk-Windehag und dieser ist interessanterweise mit Helswind von Windehag-Grötz verheiratet."
"Windehag-Grötz?"
"Jawohl, die Tochter der einzigen noch lebenden Grötz aus dem Mittelreich, Hildegund von Windehag-Grötz. Sie hat ebenfalls Ansprüche an den Gütern gestellt, aber um ganz ehrlich zu sein, ohne jede Chance. Wie kam ich auf Hildegund?"
"Die Baronie Windehag?"
"Richtig, die Baronie Windehag umfaßte vor über 270 Jahren Teile der heutigen Baronien Osthagen, Südhag und Salzsteige. Daran sieht man schon, wie schwierig sich eine Rückgabe gestalten könnte.
Insbesondere der mächtige Herr von Salzsteige, einem hohen Geweihten der RONdra, entstammt einem alten eingesessenen Geschlecht, dem die Ländereien nur schwer zu entreißen sind. Denn selbst wenn Herzog Cusimo die alten Güter rechtmäßig zurückerhalten müßte, kann das nicht durch neues Unrecht geschehen. Entschädigungen sind notfalls zu leisten. Doch das würde zu weit vom Thema wegführen. Zurück zu den Ländereien." Der Comto Schatz-Canzler tippte mit dem Finger auf eine eingezeichnete Burg nahe Grangor. "Herzog Cusimo residiert noch heute auf Burg Windhag und in der Tat war die einstige Grafschaft Windhag ebenfalls Teil der Grötzschen Güter. Zur Grafschaft Windhag gehört der weitaus größte Teil Südhags, das Reichsland Wettershag, natürlich als ehemaliger Sitz der Grötzschen Vögte, die heutige Reichsstadt Harben - sehr pikant, im übrigen - Teile der bereits angesprochenen Baronie Salzsteige, Baronie Schattengrund, der nördliche Teil der Baronie Widdernhall, weite Teile der Gaugrafschaft Weißengau und Teile der Landmark Rondbirge." Der Comto Schatz-Canzler fuhr mit den Fingern die Strecke nach. "Ja, so ungefähr könnte es stimmen."
"Und was habt Ihr dort im Osten eingezeichnet?"
"Das, Gerilian, ist die Grafschaft Grötz, das Stammland der Grötz aus den Nordmarken. Dazu gehören der nördliche Teil von Osthagen, der südliche von Widdernhall, sowie die nordmärkische Gaugrafschaft Fuchsgau, und das herzögliche Bollharschen. Allein an den Namen der Ländereien könnt Ihr hören, daß sie früher einmal in anderer Hand waren. Das System der Gaugrafschaften wurde erst sehr viel später eingeführt und die Herzöge von Elenvina haben ihre Stammländer nördlich des Großen Flusses, insbesondere der nördliche Teil der Grafschaft Isenhag."
"Und die Fragezeichen dort auf der Karte." Schließlich hatte der Comto Schatz-Canzler noch mehr auf die Karte gezeichnet.
"Nun Gerilian, bei diesen Teilen bin ich mir selbst nicht ganz sicher. Sie gehören eindeutig nicht zu den Stammländern der Grötz, werden aber hin und wieder als Teile ihrer Grafschaft, Vogtei, Besitzungen - je nach Dokument und Quelle - genannt. Das ist dieser absonderliche südliche Teil von Isenhag mit den Baronien Rabenstein, Nilsitz und Dohlenfelde, ebenso wie das südliche Albenhus mit Weidleth, Liepenstein und Albengau."
"Soweit hinein in die Nordmarken?"
"Dafür sprechen würden wieder diese Neukonstrukte Kaiserlich Weidleth - wie soll diese Baronie in die Hand des heutigen Kaiserhauses gelangt sein, sowie die Gaugrafschaft Albengau. Die Geschichte der Vogtei Nilsitz ist völlig unklar, genauso, wie auch die der Baronie Dohlenfelde, deren Herrscher erst seit wenigen Jahren Herren von Dohlenfelde sind, ein Sturmfels Haus. Gar nicht will allerdings die Baronie Rabenstein ins Bild passen. Ihre Regenten leben schon seit nunmehr vier Jahrhunderten in der Gegend und fügen sich somit nicht in das Bild. Entweder stimmen die Aufzeichnungen der Chroniken nicht, oder das Haus Rabenstein hat sich älter gemacht als es ist. Dazu müßte man tiefer in Elenvina suchen. Das kann man von hier aus nur schwer einschätzen."
"Weidleth, war das nicht der Ort, an dem der Friede von Oberfels gesiegelt wurde?"
"So ist es. Aber was viel interessanter ist, es gab einst eine Familie Grötz Junker zu Weidleth, die zwar nur Hausmeier der Grötzer Grafen waren, aber eine belegbare Verbindung des heutigen Allodgutes der garether Kaiser zu dem Haus Grötz darstellt - im übrigen unter Kaiser Perval an die Garether gefallen, ein Indiz für die Unrechtmäßigkeit. Meine Vermutungen sind somit nicht aus der Luft gegriffen." Der Comto Schatz-Canzler besah sich noch einmal die Karte.
"Ansonsten dürfte es aber keine nennenswerten Güter mehr nördlich des Großen Flusses gegeben haben, höchstens einige wenige Dörfer und Höfe, die durch Mitgiften an das Haus gelangt sind. Soviel zu den Grötzschen Gütern."
"Und Herzog Cusimo bräuchte nur vor Reichsbehüter Brin treten und ihm seine Treue erweisen."
"Nein, Gerilian, nicht vor Reichsbehüter Brin, er ist nicht Lehnsherr des Mittelreiches, dies ist noch immer Kaiser Hal. Erst wenn Brin zum Kaiser gekrönt wird, kann ihm Herzog Cusimo huldigen, so er denn will. Dann wird er Diener zweier Könige sein."
Noch bevor ich eine weitere Frage stellen konnte, trat ein livrierter Diener in das Kabinett des Comto Schatz-Canzlers, gefolgt von einem Mann, der die typischen Gewänder eines hohen Beamten des Königreiches trug.
"Euer Excellenz, der Herr Cron-Secretario für Staatsfinanzen, wünscht Euch zu sprechen."
"Ah ja, nun Gerilian, es tut mir leid, die Arbeit ruft. Mal sehen, wer heute wieder Gold von mir haben will. Ich kann es mir schon denken." Ein Lächeln huscht über das Gesicht des Comtos. "Auf bald."
Und noch bevor ich etwas mehr als den Abschiedsgruß erwidern konnte wurde ich durch den Diner des Hauses mit leichtem Druck aus dem Raum geschubst. Nun stand ich also wieder in der hohen Halle des Palazzo Salicum. Allein mit meinen Fragen.


Andree Hachmann,
mit dankbarer Verwendung eines Artikels von Tina Hagner