"Oh, das ist in der Tat eine Frage, die man prüfen muß. Da ungünstigerweise viele alte Dokumente verschollen oder zerstört sind, gilt es anhand von Überlieferungen und Randbemerkungen alter Texte, den genauen Umfang zu ermitteln. Ich selbst kann da keine Aussage zu machen."
Ich konnte meine Enttäuschung kaum verbergen.
"Aber, aber, Gerilian, seid nicht enttäuscht, für Euch will ich dann doch mal etwas orakeln, denn trotz meiner fundierten Kenntnisse kann auch ich nur spekulieren, welche Gebiete zu den ehemaligen Grötzschen Gütern gehören."
"Man sagt, es handele sich um ganz Windhag, weite Teile der westlichen Nordmarken und kaiserlich Phecadien in Almada."
"Was so geschrieben wird in den einschlägig bekannten Gazetten", winkte Comto Tarin ab. "Vergeßt nicht, Gerilian, die schreiben zumeist auch nur für ihr Publikum. Aber eines ist ganz großer Humbug, um es mohisch auszudrücken, ganz Windhag war niemals in der Hand der Grötz."
Der Comto Schatz-Canzler ging wieder in den Palazzo. "Seht, Gerilian, im Norden Windhags liegt Kyndoch, der Zankapfel Albernias und der Nordmarken, und das seit ungezählten Jahrhunderten. Im ganzen nördlichen Windhag, wird es, wenn überhaupt nur wenige Güter und Höfe der Grötz geben. Doch laßt uns zunächst in mein Kabinett zurückkehren, dort habe ich eine Karte anfertigen lassen, nachdem ich von Eurem Kommen hörte."
Gemeinsam mit Comto Tarin ging ich wieder zurück ins Erdgeschoß in das Amtszimmer des Comto Schatz-Canzlers, in dem er mich auch schon das letzte Mal empfangen hatte. Es war ein heller langgezogene Raum mit zahlreichen Regalen und Gemälden.
"Seht her, Gerilian." Auf einem Schreibpult lag eine Karte des westlichen Aventuriens. "Hier liegt Grangor, Phecadien, das Stammland der Garlischgrötz. Vor dem Unabhängigkeitskrieg gehörte das almadanische kaiserlich Phecadien ebenfalls zu der Grafschaft. Untergegangen ist die alte Baronie Windehag - und dabei handelt es sich natürlich nicht um das albernische Windehag - von der nur noch die gleichnamige Signorie in Nervuk übriggeblieben ist. Der Signor von Windehag ist der Sohn Marchese Zandors, Timon von Nervuk-Windehag und dieser ist interessanterweise mit Helswind von Windehag-Grötz verheiratet."
"Windehag-Grötz?"
"Jawohl, die Tochter der einzigen noch lebenden Grötz aus dem Mittelreich, Hildegund von Windehag-Grötz. Sie hat ebenfalls Ansprüche an den Gütern gestellt, aber um ganz ehrlich zu sein, ohne jede Chance. Wie kam ich auf Hildegund?"
"Die Baronie Windehag?"
"Richtig, die Baronie Windehag umfaßte vor über 270 Jahren Teile der heutigen Baronien Osthagen, Südhag und Salzsteige. Daran sieht man schon, wie schwierig sich eine Rückgabe gestalten könnte. Insbesondere der mächtige Herr von Salzsteige, einem hohen Geweihten der RONdra, entstammt einem alten eingesessenen Geschlecht, dem die Ländereien nur schwer zu entreißen sind. Denn selbst wenn Herzog Cusimo die alten Güter rechtmäßig zurückerhalten müßte, kann das nicht durch neues Unrecht geschehen. Entschädigungen sind notfalls zu leisten. Doch das würde zu weit vom Thema wegführen. Zurück zu den Ländereien." Der Comto Schatz-Canzler tippte mit dem Finger auf eine eingezeichnete Burg nahe Grangor. "Herzog Cusimo residiert noch heute auf Burg Windhag und in der Tat war die einstige Grafschaft Windhag ebenfalls Teil der Grötzschen Güter. Zur Grafschaft Windhag gehört der weitaus größte Teil Südhags, das Reichsland Wettershag, natürlich als ehemaliger Sitz der Grötzschen Vögte, die heutige Reichsstadt Harben - sehr pikant, im übrigen - Teile der bereits angesprochenen Baronie Salzsteige, Baronie Schattengrund, der nördliche Teil der Baronie Widdernhall, weite Teile der Gaugrafschaft Weißengau und Teile der Landmark Rondbirge." Der Comto Schatz-Canzler fuhr mit den Fingern die Strecke nach. "Ja, so ungefähr könnte es stimmen."
"Und was habt Ihr dort im Osten eingezeichnet?"
"Das, Gerilian, ist die Grafschaft Grötz, das Stammland der Grötz aus den Nordmarken. Dazu gehören der nördliche Teil von Osthagen, der südliche von Widdernhall, sowie die nordmärkische Gaugrafschaft Fuchsgau, und das herzögliche Bollharschen. Allein an den Namen der Ländereien könnt Ihr hören, daß sie früher einmal in anderer Hand waren. Das System der Gaugrafschaften wurde erst sehr viel später eingeführt und die Herzöge von Elenvina haben ihre Stammländer nördlich des Großen Flusses, insbesondere der nördliche Teil der Grafschaft Isenhag."
"Und die Fragezeichen dort auf der Karte." Schließlich hatte der Comto Schatz-Canzler noch mehr auf die Karte gezeichnet.
"Nun Gerilian, bei diesen Teilen bin ich mir selbst nicht ganz sicher. Sie gehören eindeutig nicht zu den Stammländern der Grötz, werden aber hin und wieder als Teile ihrer Grafschaft, Vogtei, Besitzungen - je nach Dokument und Quelle - genannt. Das ist dieser absonderliche südliche Teil von Isenhag mit den Baronien Rabenstein, Nilsitz und Dohlenfelde, ebenso wie das südliche Albenhus mit Weidleth, Liepenstein und Albengau."
"Soweit hinein in die Nordmarken?"
"Dafür sprechen würden wieder diese Neukonstrukte Kaiserlich Weidleth - wie soll diese Baronie in die Hand des heutigen Kaiserhauses gelangt sein, sowie die Gaugrafschaft Albengau. Die Geschichte der Vogtei Nilsitz ist völlig unklar, genauso, wie auch die der Baronie Dohlenfelde, deren Herrscher erst seit wenigen Jahren Herren von Dohlenfelde sind, ein Sturmfels Haus. Gar nicht will allerdings die Baronie Rabenstein ins Bild passen. Ihre Regenten leben schon seit nunmehr vier Jahrhunderten in der Gegend und fügen sich somit nicht in das Bild. Entweder stimmen die Aufzeichnungen der Chroniken nicht, oder das Haus Rabenstein hat sich älter gemacht als es ist. Dazu müßte man tiefer in Elenvina suchen. Das kann man von hier aus nur schwer einschätzen."
"Weidleth, war das nicht der Ort, an dem der Friede von Oberfels gesiegelt wurde?"
"So ist es. Aber was viel interessanter ist, es gab einst eine Familie Grötz Junker zu Weidleth, die zwar nur Hausmeier der Grötzer Grafen waren, aber eine belegbare Verbindung des heutigen Allodgutes der garether Kaiser zu dem Haus Grötz darstellt - im übrigen unter Kaiser Perval an die Garether gefallen, ein Indiz für die Unrechtmäßigkeit. Meine Vermutungen sind somit nicht aus der Luft gegriffen." Der Comto Schatz-Canzler besah sich noch einmal die Karte.
"Ansonsten dürfte es aber keine nennenswerten Güter mehr nördlich des Großen Flusses gegeben haben, höchstens einige wenige Dörfer und Höfe, die durch Mitgiften an das Haus gelangt sind. Soviel zu den Grötzschen Gütern."
"Und Herzog Cusimo bräuchte nur vor Reichsbehüter Brin treten und ihm seine Treue erweisen."
"Nein, Gerilian, nicht vor Reichsbehüter Brin, er ist nicht Lehnsherr des Mittelreiches, dies ist noch immer Kaiser Hal. Erst wenn Brin zum Kaiser gekrönt wird, kann ihm Herzog Cusimo huldigen, so er denn will. Dann wird er Diener zweier Könige sein."
Noch bevor ich eine weitere Frage stellen konnte, trat ein livrierter Diener in das Kabinett des Comto Schatz-Canzlers, gefolgt von einem Mann, der die typischen Gewänder eines hohen Beamten des Königreiches trug.
"Euer Excellenz, der Herr Cron-Secretario für Staatsfinanzen, wünscht Euch zu sprechen."
"Ah ja, nun Gerilian, es tut mir leid, die Arbeit ruft. Mal sehen, wer heute wieder Gold von mir haben will. Ich kann es mir schon denken." Ein Lächeln huscht über das Gesicht des Comtos. "Auf bald."
Und noch bevor ich etwas mehr als den Abschiedsgruß erwidern konnte wurde ich durch den Diner des Hauses mit leichtem Druck aus dem Raum geschubst. Nun stand ich also wieder in der hohen Halle des Palazzo Salicum. Allein mit meinen Fragen.
Andree Hachmann, mit dankbarer Verwendung eines Artikels von Tina Hagner
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