Zwischen Vinsalt und Veliris
Das kleine Städtchen Shumir lag beschaulich zwischen den sanften Weinhängen. Die hohen Türme der starken Mauer ragten hinauf in den Himmel. Allein die dunklen Zinnen der mächtigen Burg, die auf einem Hügel über der Stadt thronte, zeugte von den Dingen die da kommen sollten. |
An der Spitze eines langen Heerzuges ritt der Baron von Veliris. Er war längst nicht mehr der junge Krieger von einst und silbergraue Strähnen hatten seine braunen Haare schon vor Monaten durchwirkt. Ein versilberter Küraß, verziert mit allerlei Ornamenten - insbesondere schmückte natürlich die Lilie, das Zeichen des Hauses Veliris, den Panzer - bedeckte seine Brust, der rote Mantel lag auf dem Rücken des starken Bomeder Fuchs' und der pelzverbrämte Dreispitz, das Markenzeichen des Barons, trotzte dem stärker werdenden lauen Wind.
Der Gonfaloniere Tarim Ciras von Veliris-Larindau war ein entfernter Verwandter des Barons und normalerweise für die freiherrschaftlichen Soldaten zuständig. Er ärgerte sich maßlos darüber, daß er nicht den blassesten Schimmer hatte, wo der Baron hinwollte. Seit er Veliris verlassen hatte, führte er den Zug in Richtung Ratinau. Wollte er nach Vinsalt? Oder über die Seitenwege gen Bomed? Vielleicht gar noch in die tikalischen Erbwirren eingreifen? Er haßte es, wenn er nicht informiert wurde. |
Je näher der Zug aus Veliris der Stadt kamen, desto mehr Menschen standen an den Wegen, um sie zu begrüßen. Feldarbeiter kamen an den Straßenrand und winkten dem Baron aus Veliris mit Kappen, Tüchern und Händen zu. Der alte, immer schon etwas unheimliche Baron war nun wohl endgültig fort und wie es aussähe, würde nun dieser Mann Herr über Shumir werden. Also stellte man sich lieber gleich gut mit ihm, zumal er auch heute Abend ein großes Fest in der Stadt geben würde, zu dem die ganze Umgebung eingeladen war.
Als Baron Ariano das Stadttor von Shumir durchritt, schlugen ihm die Zurufe der begeisterten Menge schon entgegen. Die Plätze und Straßen der Stadt waren angefüllt mit jubelnden und feiernden Menschen. An vielen Stellen waren bunte Bänder mit kleinen Wimpeln über die Straßen gespannt und zahlreiche Fahnen - darunter sogar einige mit den drei roten Lilien des Hauses Veliris - hingen aus den Fenstern, wo ebenfalls winkende Menschen standen.
"Nun, Euer Hochgeboren, das ist doch ein voller Erfolg", sagte Tarim Ciras, der mittlerweile bis zur Spitze des Zuges aufgeschlossen war.
Der Platz hatte sich mittlerweile gefüllt und unter Fanfarenklängen schritt Baron Ariano zusammen mit dem Gonfaloniere und einigen andern seiner engsten Gefolgsleute auf das Podest. Im Hintergrund ragten die düsteren Mauern von Burg Schwarzzack bedrohlich auf und verliehen dem Spektakel auf dem Vorplatz eine herrliche Kulisse. |
Noch während der offiziellen Zeremonie bereitete sich plötzlich Unruhe unter den Menschen auf dem Vorplatz aus. Ein weiteres Heer näherte sich der Stadt. Griffen die Pertakiser jetzt schon an? Sollte es hier in Shumir zu einer Entscheidung kommen?
Es dauerte nicht mehr lange und der Zug des Kullbachers hatte die Stadt erreicht. Ihm und seiner jungen Frau wurde ein ebenso freundlicher Empfang bereitet, wie nur wenige Stunden zuvor noch Baron Ariano. Das Heer des Barons von Veliris war somit auf über 500 Mann gestiegen, mehr als doppelt so viel, wie die Landadeligen aus Pertakis bislang aufgebracht hatten. Als ein Bote spät in der Nacht die Nachricht überbrachte, die Pertakiser hätten sich zurückgezogen, war das zu niemandes Erstaunen.
In der Horasstadt Vinsalt, am selben Tag.
In einem prächtigen Raum im Südflügel des Vinsalter Kaiserschlosses saß eine erlauchte Gesellschaft beisammen. Der Kronrat Yaquirias tagte im ovalen Saal, von dem aus man durch hohe Glastüren direkt in den Schloßpark gelangen konnte, was der Sitzung schon des öfteren den Spottnamen "Gartenkabinett" eingebracht hatte. |
"Was sagt denn die Kaiserin?" fragte Bergkönig Gorfar von Schradok den Erzherzog von Horasia. |
"Eide soll man nicht brechen", bekräftige der 2te Cammerrichter Rimaldo die Gräfin.
"Signor Delgado," gab der Beschuldigte zurück, "laßt die Familiengeschichten aus dem Spiel. Trotz Eures Firdayon-Stammes steht es Euch nicht an, in fremden Belangen ein Urteil zu fällen."
Nahe der Landstadt Pertakis, am selben Abend.
Der Mantel des Ritters in der silbernen Vollrüstung wehte wie ein Drachenschweif in seinem Rücken. Die noch jungen Augen blickten entschlossen den Yaquir hinauf, verfolgten den Lauf des Flusses zurück nach Vinsalt, Shumir und Veliris. In der gepanzerten Rechten hielt er die Depesche, die ein Eilreiter gerade aus der Horasstadt gebracht hatte, zusammengeknüllt: "...müssen Wir Euch, Unserem prinzlichen Sohn, die Unterstützung der Krone bei Eurem Vorhaben mit größtem Bedauern versagen." Ein Flußschiffer schaute furchtsam zu der Gestalt auf dem Uferfelsen und schlug gleich die Augen nieder, als er im Fackelschein den Zorn auf dem herrschaftlichen Antlitz bemerkte.
Das war jetzt einerlei, denn mit oder ohne Placet des Kronrates würde er, Prinz Ralman, schleunigst für Ruhe und Ordnung sorgen. Die schwere Rüstung gab Geräusch, als er sich zu seinen Begleitern umwandte. "Ihr müßt sie beständig tragen, bis sie zu einer zweiten Haut für Euch wird", hallten die Worte seines alten Fechtmeisters in ihm nach. Das würde auch sein Knappe Odoardo - ein Bub von gerade vierzehn Lenzen, den alle nur Odo nannten, und der derzeiten vollauf mit dem Hochhalten der Fackel beschäftigt war - bald lernen müssen. Der Prinz ließ seine Adjutantin, Capitanya Nurîm Trîbec von Trebesco, eine stattliche Mittvierzigerin mit ein, zwei grauen Strähnen im braunen Haar, mit einem Wink auf Armlänge herantreten. |
"Warum habt Ihr uns zurückgerufen, Euer Hoheit?", schimpfte Endor Doren Shenilo-Felsfelden, der für seinen Vater, den Gransignor von Pertakis, die Aktion in Shumir anführte. In der Baronsstadt Ruthor, am selben Abend. |
Bei einem Glas schwerem Rotwein saßen der Comto Seneschall, Baron Alwîn Gandolfo di Bellafoldi von Ruthor, und sein langjähriger Freund, der Comto Schatz-Canzler Tarin Salquirio von Salicum-Selzin, auf der Terrasse des Palazzo Ruthor und blickten in die untergehende Sonne.
"Aber Udora war doch schon alt!" |
"Tja dann, fallt die Baronie Shumir wohl an das Haus Veliris", resümierte der Comto Seneschall. "Aber in Terubis sitzen doch die Westfar-Weilenscheins, die entfernt mit dem dortigen Baron verwandt waren, die werden sich doch wohl nicht mit einer Baronin Elanor zufrieden zeigen?" Und während der Signor von Salicum und Selzin noch seine Geschichte erzählte, versank am Horizont die Sonne im Meer der Sieben Winde.
Andree Hachmann, mit Beiträgen von Frank Bartels
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