"Im Namen Ucuris des Gerechten und Horas des Heiligen erbitte ich Deine Gnade und Gerechtigkeit Praios, oh Herr, für diesen armen Sünder..."
In der Mitte des weitläufigen Hofes war das Podest mit dem Richtblock aufgebaut worden. Die Sonne reichte noch nicht in das von einer leise murmelnden Menge erfüllte Platzes inmitten von Gerichts- und Gefängnisgebäuden, Dampf stieg von Mündern und Nasen empor. Der Geschmack des feinen Mahles, das er eben weniger genossen als hinuntergewürgt, mischte sich in Alamad ya Barigeldis Mund mit dem von Galle und Angst. 'Das kann alles nicht sein! Dies ist nur ein böser Traum! Du wirst nicht sterben!' flüsterte eine panische Stimme in seinem Kopf, wurde überlagert vom Gebet der Geweihten.
"...denn er war fehlgeleitet, seine Hand zu erheben gegen eine Adelige, die nach Deinem Willen herrscht. Fehlgeleitet vom Haß, dem wispernden Boten dessen Namen man nicht nennt, fehlgeleitet vom Schmerz ob des schmählichen Todes seines Bruders Emerald..."
Mit blankgezogenen Säbeln flankierten die Garden den jungen Mann, der dicht gefolgt von Aridana zum Schafott schritt. Eine einzelne Stimme erhob sich aus der gaffenden und tuschelnden Menge: "Hoch lebe Alamad ya Barigeldi !" "Hoch, hoch!" - die Rufe waren eher verhalten, wohl wollte keiner seiner Sympathisanten ein Eingreifen der zahlreich anwesenden Gardisten provozieren.
Gehetzt eilte sein Blick an dem Spalier der schweigenden, als Schutz gegen die Kälte warm eingekleideten Menschen entlang, blieb an den Stufen zum Richtblock hinauf hängen. Seine Gedanken rasten schneller als selbst im Gefecht: Dort konnte nur eine Person auf einmal hinauf, einen Moment würde er nicht von seinen Bewacherinnen eingekreist sein! Dann war der Augenblick auch schon heran, und wie die bleierne Kugel einer Balestrina schoß der Verurteilte los, sprang mit einem gewaltigen Satz in die Menge, die erschrocken aufquiekend auseinanderstob. Wie ein Wahnsinniger pflügte Alamad durch den See aus unbekannten, überraschten Gesichtern, stürmte dem nicht mehr fernen Torbogen zu, der Freiheit versprach und Leben. Es schien, als sähen sich die hinter ihm und von den Ecken des Hofes her eilenden vinsalter Gardisten von der Menschenherde mehr behindert als er. Er wußte, er konnte es schaffen.
Nur noch wenige Schritte trennten ihn vom Tor, das auf die breite Straße führte. Er würde ein Roß akquirieren müssen, doch davon gab es im neuen Bosparan genug. Eine dunkle Gestalt trat ihm plötzlich in den Weg, Alamad war so überrascht, daß er in die ausgestreckte Faust des kleinen Fremden lief, der ihn aus blaugrünen Augen höhnisch ansah. Die Wucht des Schlages traf ihn derart, daß er mitten im Laufe zurückprallte und zu Boden stürzte; noch im Fallen erkannte er den metallischen Schimmer eines Gauntlets an der Hand des Fremden, der sich rasch über ihn beugte.
"Warum? wirst Du nun fragen, Barigeldi, nicht?" Der Unbekannte wartete nicht auf eine Antwort, sondern schlug die Kapuze zurück und enthüllte blonde Locken über einem Gesicht, das kaum älter sein konnte als Alamads. "Du sollst Deiner gerechten Strafe nicht entgehen. Denn nicht allein für Deinen versuchten Giftmord an der Trappenfurtnerin wirst Du gerichtet werden, sondern stellvertretend für Deine verbrecherische Familie, deren Taten Farian damals nicht konnte rächen. Denn nach Emeralds Tod bist Du der letzte Erbe des intriganten Malevizio ya Barigeldi, der uns ya Aragonzas diskreditierte und in Armut stürzte."
Sich am kalten Boden vor Schmerzen krümmend erkannte Alamad nun, wer da vor ihm stand. So überlebt uns die Sippe der Aragonzas doch, resignierte er, als ihn die Gardistinnen hochhoben und zum Richtplatz trugen. Sie werden aus dieser alten Fehde siegreich herausgehen, und nimmermehr wird ein Barigeldi ihnen den Zutritt zur Kusliker Garde verwehren können. Jahrzehnte hatte der Zwist zwischen den beiden Familien geschwelt, und nun waren all die Erfolge, die Malevizio, sein greiser Vater nach dem Mord an Garamond ya Barigeldi gegen die verfeindete Sippe erzielt hatte, ins Gegenteil gekehrt worden. Die Barigeldis würden ohne Erben sein, wohingegen die Aragonzas zu ihrem alten Ruhm aufstreben konnten.
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