"Nimm das Leben mit einem fröhlichen Lachen, mein Freund, denn es ist nur kurz!" Eine kurze Biographie des Aldessandro di Visterdi von Ankram
"Es heißt, daß Aldessandro di Visterdi mit einem Lachen in diese Welt trat, und mit einem Lächeln auf den Lippen folgte er Golgari ins Borons Reich. Ich will ihn keinen Schelm heißen, aber er wußte wahrlich die lichten Seiten des Lebens zu genießen und es nicht all zu ernst zu nehmen. Dennoch hat er mehr noch als seinen Namen in den Annalen der Geschichte verewigt. Er wurde zum Sinnbild des horasischen Edelmannes - von höfischer Gesinnung, jedoch listenreich und vorausschauend seine Macht und seinen Einfluß bewahrend, und ein Meister in der Manipulatio der Menschen." Herzog Eolan anläßlich der Einweihung der Gedenkstatue
Baron Aldessandros auf dem Marktplatz von Ankram, 2512 Horas |
Aldessandro di Visterdi galt in den Augen vieler Menschen als höfischer Popanz - als Lebemann, Spieler, und politisch völlig uninteressierten Edelmann, der aus Zerstreuung und Abenteuerlust Aventurien bereiste und dabei mehr als nur ein Vermögen verpraßte. Nur wenigen Menschen war es vergönnt, hinter die Maske des Schelms und Höflings zu blicken.
Geboren wurde Aldessandro im Jahre 2422 als zweiter Sohn Baron Armandino di Visterdis und seiner Gemahlin Tamarina di Therlan-Visterdi, drei Jahre nach seinem älteren Bruder Renardo. Wenige Jahre später sollte noch eine Schwester dazu kommen - die heutige Altgräfin von Sikram, und Mutter der Marvinko Brüder Croenar und Abelmir: Irionya.
Wer mochte in dem leichtlebigen jungen Edelmann, der das Leben in vollen Zügen genoß, und in allem: Essen, Trinken und Frauen ein Feinschmecker war, der mit seinen amüsanten Erzählungen und seinem fröhlichen, ausgelassenen Wesen der Mittelpunkt von Feierlichkeiten und Salons war, der sich im Spiel ebenso wie mit schönen Frauen vergnügte und vom Glück gesegnet schien, die Theaterkunst liebte und forderte ... einen Mann sehen, der ein wacher Beobachter war und dem nichts entging, dessen Ausstrahlung allein die Menschen verwirrte und beeinflußte. Aldessandro di Visterdi lernte sehr schnell, die lebendigen Figuren seines Inrah so zu verteilen, daß er selten verlor und kein einziges Mal als der Drahtzieher seiner Intrigen zu erkennen war. |
Aldessandro erholte sich nur langsam von seiner Verwundung, die ihn zwar nicht daran hinderte Rahjas Freuden zu genießen, und beschloß, Vinsalt zu verlassen. In den folgenden zwei Jahrzehnten bereiste er Aventurien zum einen, "um die Lebensart und Sitten anderer Lande kennenzulernen und ihnen natürlich liebfeldische Lebenskunst zu zeigen". Er war aber nicht nur ein vergnügungssüchtiger Edelmann, sondern auch ein interessierter Forschungsreisender: Seine Reisen von den eisigen Ebenen des Nivesenlandes über die kultivierteren Provinzen des Mittelreiches, bis hinunter zu der Einöde der Khom, und den gefährlichen Dschungeln des Südmeeres. Neben einer großen Kunstsammlung blieben seine mehrbändigen Reiseberichte erhalten. Sie wurden allerdings auf seinen Wunsch hin gut zweihundert Mal vervielfältigt. Die Originale befinden sich im Besitz der Baronin Delhena. Seine ebenfalls in dieser Zeit verfaßten Geheimberichte sind noch heute unter Verschluß. Auf einer dieser Reisen lernte Aldessandro di Visterdi die junge Tulamidin Delhena-Naila kennen, die ihn von nun an auf seinen Reisen begleitete. Seine damaligen Freunde wissen zu berichten, daß der rüstige Mittsechziger schon von Anfang an weniger das Verhältnis eines Gönners zu seiner Mätresse, als das eines Vaters zu seiner Tochter pflegte und sie offensichtlich auch schon bald in seine Geheimnisse einweihte. Er schien in die ernste junge Frau regelrecht vernarrt zu sein - so daß manche vermuteten, er habe in ihr die uneheliche Frucht seiner Lenden erkannt.
Aldessandro genoß es sichtlich, seinen Schützling gegen den energischen Protest seiner Schwester Irionya in die höfischen Kreise einzuführen und ebenso - als sein Bruder Renardo 2506 Horas starb, ohne einen Erben zu hinterlassen - sein Recht auf die Baronskrone Ankrams nicht an seinen Neffen Abelmir abzugeben, wie es seine Schwester forderte.
In den letzten drei Jahren von Aldessandros Leben schienen sich seine Worte zu bewahrheiten - vordergründig jedenfalls. War schon die Geste, Delhena-Naila zur Esquiria von Ankram zu erheben ein geschickter Schachzug in der Auseinandersetzung seiner Schwester - die sich als ausdauernder Gegner in diesem Machtspiel erwies, so sollte die familiäre Zusammenkunft im Herbst des Jahres 2508 Horas seinen Sieg darin krönen: Dort nämlich überraschte Baron Aldessandro seinen Schützling, seine Schwester und deren Söhne, mit dem Entschluß - "nun endlich seine Tochter der Gesellschaft vorzuführen!" Nun endlich wurde die, in den letzten Jahren vorbereitete und rechtlich abgesicherte Adoption der jungen Frau rechtskräftig. |
Und so schien Aldessandro di Visterdi, der sich schon längere Zeit des Lebens überdrüssig fühlte, weil er die Gebrechen des Alters immer deutlicher spürte, und schon gar kein sabbernder Greis sein wollte, seine Zeit gekommen. Bereitwillig begab er sich in Borons Arme und starb an einem strahlenden Morgen im Peraine 2509 mit einem Lächeln auf den Lippen, zufrieden mit sich und dem, was er in seinem Leben erreichte. Aldessando di Visterdi sollte sich in seinem Schützling nicht getäuscht haben. Delhena Naila di Visterdi setzte sich gegen die Anfeindungen ihrer neuen Verwandschaft durch und lernte sehr schnell die Regeln des Machtspiels, ehe sie sich erlaubte, dem Ruf ihres Herzens zu folgen - und dadurch noch mehr an Macht und Bedeutung zu gewinnen - wie es sich Aldessandro di Visterdi immer gewünscht hatte. Doch das ist eine andere Geschichte.
Aldiana Tamarisco, Zweite Hofchronistin von Ankram
Christel Scheja
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