Die Kutsche ratterte über das Pflaster von Ruthor. Manch ein Bürger fuhr erschrocken aus dem Schlaf, denn es war schon nach Sonnenuntergang. Selten hörte man zu dieser Zeit Geräusche auf den Gassen, denn Ruthor war keine Handelsstadt wie Sewamund, sondern Residenzsitz des Barons. Und da man hier etwas abseits von den großen Metropolen des Landes lag, pflegte man eine provinzielle Ruhe und Gelassenheit. Die Residenz des Barons lag ziemlich zentral in der Stadt und galt als eine der schönsten des Landes.
Die Kutsche der Baronin Elanor rollte über den großen Innenhof auf das Hauptportal zu, wo bereits einige Diener bereitstanden um den Verschlag zu öffnen. Der Baron von Ruthor und Comto Seneschall Yaquirias hatte sich bereits zu Bett begeben und ließ seine Gäste nun in der großen Orangerie warten. Nach einiger Zeit erschien er dann in brokatenem Morgenrock und Pantoffeln.
"Tarin, was treibt Euch zu so später Stunde hierher. Doch bevor Ihr antwortet laßt mich zunächst Baronin Elanor begrüßen. Welch seltener Gast in meiner bescheidenen Hütte. Ich freue mich." Galant gab er der Baronin einen Handkuß alten Stils. Diese bedankte sich mit einem leichten Kopfnicken.
"Es geht um Shumir, nicht wahr?" Der Baron Alwîn di Bellafoldi hatte sich in einen Korbsessel gesetzt und wartete nun gespannt auf den Grund des nächtlichen Besuches. Noch bevor der Schatzkanzler antworten konnte störte ein Diener des Barons vorsichtig die Runde und stellte ein Tablett auf einem eigens mitgebrachten Beistelltischchen ab. Auf der Serviertafel standen drei Tassen mit dampfendem Inhalt.
"Wenn ich Euch zuvor noch ein Schlückchen dieses mohischen Teufelsgetränkes anbieten dürfte. Es macht den Schlaf vergessen und ist in Belhanka die neueste Salon-Mode. Dort nennt man es 'Cawa', wenn ich mich recht entsinne." Der Baron ließ seinen Gästen je eine Tasse reichen. "Aber aufgepaßt, um es genießen zu können wird es sehr heiß aufgebrüht."
Comto Tarin nippte leicht an seiner Tasse und zog sogleich die Augenbrauen hoch. "Alwîn", rief er aus, "dieser Trank wird doch bei den Mohas nicht etwa zur Nekromantie genutzt? Damit könnte man ja Tote wecken." Er schüttelte sich.
"Versucht es mit einigen Candiscaramel-Stückchen. Aber nun zum Grund Eures so späten Besuchs."
"Ihr hattet schon ganz recht, Alwîn. Es geht um Shumir. Die Schlacht ist geschlagen, die Heere Baron Arianos und des Prinzen Ralman standen sich in einer offenen Feldschlacht gegenüber..."
"Aber...?"
Der Schatzkanzler nippte erneut an seinem 'Cawa' und erfreute sich an der so entstehenden Pause. "Sind die Tassen aus güldenländischem Porcellanum?"
"Aber ja, doch. Was ist nun mit der Schlacht?"
"Es konnte kein Ergebnis erzielt werden."
"Baron Ariano hatte es verhindert", berichtigte Elanor von Efferdas.
"Verhindert?"
"Er zog sich nach Shumir zurück und hat sich dort verschanzt."
"Und Prinz Ralman?"
"Der belagert nun die Stadt."
"Belagerung?", der Comto Seneschall war überrascht. "Prinz Ralman will ernstlich Shumir belagern? Die ganze Stadt ist eine Festung. Er wird sie aushungern müssen."
"Das ist im allgemeinen Sinn einer Belagerung."
"Aber das wird ewig dauern."
"Ihr vergeßt die Soldaten, die Baron Ariano mit in die Stadt gebracht hat. Und die Pferde."
"Der Prinz muß sich aber auch verpflegen. Und wenn ich das richtig verstanden habe, so ist das Umland von Shumir eher auf Seiten des Barons."
"Dessen Soldaten sind aber in der Stadt und die des Prinzen davor, wem glaubt Ihr wohl werden die Bauern ihr Korn verkaufen", bemerkte die Baronin.
"Dann sind wir mal gespannt, wer den längeren Odem hat, der belagerte Fuchs, oder der ungeduldige Sandlöwe." Der Baron lehnte sich zurück.
"Ich tippe auf den Prinzen", meinte der Schatzkanzler, "Er ist zwar ungestüm, aber von großer Weitsicht und politischem Geschick." Der Comto von Salicum-Selzin stellte seine Tasse vor sich auf das Tischchen. "Und womit unterhaltet Ihr uns nun, lieber Alwîn? Ich glaube, ich werde die ganze Nacht nicht schlafen können..."
***
"Zwei Woche sitzen wir hier nun schon auf Burg Schwarzzack, wie lange sollen wir noch hier bleiben?" fragte der Capitanwachtmeister Ralhion Trebesco den Baron.
"Wie lange noch?" fauchte der Baron zurück. "So lange, wie der Prinz glaubt seine Zeit mit einer Belagerung verschwenden zu müssen."
"Unsere Zeit, Euer Hochgeboren."
"Was wollt Ihr von mir, Trebesco?"
"Baron Ariano, nachdem Euer Schwiegersohn und mein Connetabel nicht mehr unter uns weilt, stehe ich unter niemandes Befehl. Kurz gesagt, ich will die Stadt verlassen."
Der Baron wandte sich vom Fenster ab, von dem aus er die gesamte Umgebung überblicken konnte. Fast im Flüsterton antwortete er dem Capitanwachtmeister: "Der Connetabel von Grangoria hat mir den Oberbefehl über sämtliche Truppen übertragen, erst wenn er oder der Herzog diese Ordnung bricht, untersteht Ihr nicht mehr meinem Kommando. Solange aber tut Ihr das, was ich von Euch verlange. Und glaubt mir, ich werde Euch den Rest der Belagerung in den Verliesen von Burg Schwarzzack schmoren lassen, wenn Ihr Euch mir widersetzt. Und diese Belagerung kann noch sehr lange dauern. Haben wir uns dann verstanden?"
"Ich werde mich beim Herzog über Euch beschweren, Baron."
"Tut das, wenn er wieder da ist. Und nun geht."
"Es wird mir eine Freude sein, Euch dereinst fallen zu sehen." Mit verbittertem Gesicht verließ der Capitanwachtmeister den Raum.
"Euch stört doch nur, daß Eure Base auf Seiten des Prinzen steht und vielleicht obsiegt. Aber das ist nicht der Krieg der Trebescos, das ist meiner", rief der Baron hinter dem Capitanwachtmeister hinterher.
"Obschon die dreihundert Mäuler, die nicht weiter zu stopfen wären uns beträchtlich helfen würden, Hochgeboren", wandte sich Julara von Selzin an den Baron.
"Aber was wäre das für ein Zeichen, wenn die Hälfte unserer Truppen aus der Stadt ausziehen würde? Der Prinz wartet doch nur auf ein Signal, daß ihn aufmuntert. Wir haben mehr Zeit als er."
"Haben wir die wirklich? Was wenn der Herzog wiederkehrt, oder wenn die Vorräte in wenigen Wochen aufgebraucht sind?"
"Ich brauche eine günstigere Position zum Verhandeln, Julara. Das ist alles. Einfach nur ein besseres Blatt. Die Karten werden mit jeder Woche neu verteilt."
"Möge PHEx, Euch und uns beistehen."
***
Prinz Ralman ging bereits zum wiederholten Male den Korridor auf und ab. Seit nunmehr einem Mond belagerte er Shumir. Es hatte überhaupt keine Fortschritte gegeben. Eher im Gegenteil. Die Ankunft des Herzogs von Grangoria würde sich wohl noch einige Zeit hinziehen, da er sich während der Schlacht an der Trollpforte eine böse Verletzung zugezogen hätte, wie es hieß. Nun nervte ihn sein Vetter in Bethana wieder mit den Selzinschen Ländern in Horasia und letzte Woche hatte man sogar Boten abgefangen, die den Belagerungsring um Shumir durchbrochen hatten. Und jede Taube des Barons hatte man wohl auch nicht abgeschossen. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis er Hilfe bekommen würde. Zwar gab es auch positive Meldungen, so hatte sein Vater ihm wenigstens einige Soldaten aus Kuslik geschickt, die halfen den Ring nun endlich zu verstärken und für den gefangenen Ritter aus den Reihen des Barons hatte man auch ein ordentliches Lösegeld erhalten, aber an der eigentlichen Situation hatte sich nichts verändert. Und für was tat er das eigentlich alles, er würde nicht einmal eine Hufe von Shumir bekommen.
Nun stand er hier im Schloß zu Aldyra und wollte sich mit Cronprinzessin Aldare über die Lage in Shumir austauschen. Die Thronfolgerin hatte sich nach seiner Bitte um große Feldgeschütze persönlich eingeschaltet. Der Prinz durfte also hoffen.
"Durchlaucht, Ihr könnt nun eintreten", eine der Hofdamen der Prinzessin schreckten Prinz Ralman aus seinen Gedanken auf. Der Prinz betrat das Kabinettszimmer des Schlosses zu Aldyra. Hinter ihm wurde die Tür wieder zugezogen. Die Prinzessin erwartete ihn bereits. Der Prinz sank vor Aldare auf die Knie und küßte die ihm entgegengestreckte Hand. "Euer Kaiserliche Hoheit, ich bedanke mich dafür, daß Ihr mich empfangt."
"Erhebt Euch, Vetter. Ich freue mich Euch zu sehen. Tragt mir Eure Wünsche vor."
Der Prinz erhob sich und warf einen Blick auf die Prinzessin. Cronprinzessin Aldare trug ein hochgeschnürtes grünes weit ausladendes Kleid, das über und über mit Perlen und Halbedelsteinen bestickt war. Auf dem hochgesteckten Haar trug sie ein Schlangendiadem. Aus der unbeschwerten jungen Geweihten der HESinde, war eine selbstbeherrschte Politikerin geworden.
"Kaiserliche Hoheit, wie Euch sicherlich bereits zugetragen wurde, belagere ich seit einigen Wochen die Stadt Shumir, um den anmaßenden Baron von Veliris daran zu hindern den Stuhl der Baronie an sich zu reißen und den kaiserlichen Gütern Holdan und Baliiri Schaden zuzufügen."
"Dafür sind wir Euch auch sehr dankbar, lieber Vetter. Aber nun seid Ihr seid der Belagerung überdrüssig, Ralman, oder", fragte die Prinzessin.
"So ist es, Eure Kaiserliche Hoheit. Und daher fragte ich beim Staatsminister an, ob man mir einige schwere Torrisionsgeschütze zur Verfügung stellen könnte."
"Mir wurde von Comto Rimaldo di Scapanunzio zugetragen, daß das Cronkabinett Eure Wünsche zuvor bereits ablehnend beschieden hatte."
"Ganz recht Kaiserliche Hoheit, doch in der Angelegenheit die das Cronkabinett zu entscheiden hatte, ging es um die Bereitstellung von Einheiten der Cron-Legion und um Brief und Siegel der Krone, die mein Eingreifen stützen sollten. Diesem Antrag wurde nicht stattgegeben. Doch auch mit meinen eigenen Kräften vermochte ich den Baron auf den Marschen zu besiegen, so daß ihm alleine der Rückzug nach Shumir blieb."
"Und Ihr glaubt Vetter, mit den kaiserlichen Geschützen könntet Ihr den Baron aus der Stadt bombardieren?"
"Ich denke, daß einige wenige Tage ausreichen und Baron Ariano sieht die Aussichtslosigkeit seiner Lage ein und kapituliert."
"Und wenn der Baron von Veliris standhaft bleibt, wollt Ihr dann versuchen Burg Schwarzzack in Trümmer zu legen?"
"Das wäre die letzte Konsequenz, Kaiserliche Hoheit."
"Aufgrund unserer engen familiären Bande und der Tatsache, daß Ihr gleichfalls für die Sache Firdayons streitet, werde ich mich für Euch verwenden. Doch gilt es natürlich auch weiterhin Dinge des Staates gegen Euren Wunsch abzuwägen."
"Habt Dank, Kaiserliche Hoheit. Ich fühle mich mit Eurer Stimme an meiner Seite bereits gestärkt, ganz gleich, wie die Entscheidung des Staats-Ministers letztlich ausfallen wird."
"Mögen HESinde und RONdra Euch in Eurem Tun stets beistehen, lieber Vetter." Die Prinzessin hielt ihm erneut die Hand entgegen. Mit einer tiefen Verbeugung und einem festen Handkuß verließ der Prinz den Raum. Als sich die Tür hinter ihm schloß, trat die Hofdame der Cronprinzessin wieder ein.
"Zisia, Ich werde nun meinen anderen Gast empfangen."
"Ich werde ihn sogleich hereinbitten, Hoheit." Zisia von Paquirella wollte soeben wieder entschwinden, als sich die Tür öffnete und ein gut gewandeter junger Mann, mit völlig ebenmäßigen Zügen den Raum an ihr vorbei betrat. "Ihr könnt nun gegen, Comtessa." Die Angesprochene blickte den Mann mit dem Ausdruck der vollkommenen Verblüffung an. Dieser winkte nur mit der Hand in Richtung Tür.
"Es ist schon in Ordnung, Zisia. Geht nur"; sagte die Prinzessin beruhigend.
"Sehr ... wohl, ... Hoheit." Ohne den Neuankömmling aus den Augen zu lassen, verließ sie den Raum.
"Ist die immer so?" Der junge Mann hatte eine tiefe wohlklingende Stimme.
"Nur wenn man sie überrumpelt."
"Geht es Euch nicht gut?" Der Mann trat auf die Prinzessin zu. "Ihr seht blaß aus."
"Ich habe nur seit einigen Tagen leichte Übelkeit. Es handelt sich wohl nur um ein Bauchgrimmen, das am Hofe grassiert. Außerdem betrübt es mich Prinz Ralman enttäuschen zu müssen."
"Er wird demnach keine Katapulte oder andere Geschütze von der Krone erhalten?"
"Der Staats-Minister wollte von vorne herein keine Geschütze zur Verfügung stellen, und der Staats-Marschall erklärte mir, daß die Geschütze ohne Techniker und Bombardiërie nicht zu bedienen seien, und Einheiten der Horas-Legion dürften ohnehin nicht in diesen Konflikt hineingezogen werden. Das sei auch die Linie der Kaiserin, versicherte mir Principe Folnor. Wenn ich mich nicht persönlich für den Prinzen einsetze, wird sein Gesuch abgelehnt."
"Das werdet Ihr natürlich nicht tun."
"Schweren Herzens, nein. Schließlich war das Euer Wunsch."
"Gut. So wird er dann auch nichts treffen, was er nicht einmal zu treffen glauben würde."
"Was könnte er denn treffen?"
"Jemand, der in der Burg gefangen gehalten wird. Ein Bruder von mir."
"Ein Bruder?" Die Prinzessin sah ihn erstaunt an.
"Es ist schon so lange her und der Schmerz sitzt zu tief, als das ich darüber sprechen möchte." Der Mann nahm sich einen Apfel vom Tisch, biß herzhaft hinein und schüttelte sich leicht. "Es ist doch immer wieder ein komisches Gefühl in eine so kleine Frucht zu beißen." Er schüttelte sich erneut. "Hier eßt", er warf der Prinzessin den angebissenen Apfel zu, "er wird Euch guttun, ich glaube nämlich nicht, daß Ihr an so einer Krankheit leidet ... Ihr tragt ein Kind unter dem Herzen."
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