Neue Kund und Nachricht vom Immerwährenden Hort der Hesindianischen Gaben
Nr. VIII
Hesinde-Spiegel
30. HES 1022 BF
Erleuchtungsfest

Magazin der Gelehrten und Weisen, Nachrichtenblatt der Akademien und Schulen, Blatt der Weisheiten, Medium der Hohen Herrin Hesinde und Organ der Magisterin der Magister aus den Heiligen Hallen zu Kuslik
Preis der Weisheit: 5 Golddukaten

Den Göttern entgegen
- Wallfahrten in Aventurien -

"So lasset euch hier im Schatten des gefallenen Reiches sagen: Wenn die Götter nicht zu euch kommen wollen, dann müßt ihr zu den Göttern kommen. Tretet vor ihr Angesicht, so daß sie eure Klagen anhören und euch reinwaschen von Zweifel und Verzweiflung."

Predigt eines Mönchs vom Bund des Wahren Glaubens, um Bosparans Fall, aus dem Bosparano

"Im verflossenen Jahr besuchten 7tausend085 Pilger das Heiligtum und steigerten EFFerds Schatz um 4tausend276 Dukaten. Erfreulicherweise konnten sechs Novizen aufgenommen werden. Drei unserer Brüder traten die Große Fahrt an, auf der EFFerd sie geleiten möge!"

'Rolle der Jahre' des Effertempels zu Grangor, 30. Rahja 981 n. BF

Der Dienst an den Göttern und dem himmlischen Alveran besteht aus Beten, Opfern und Preisen, sei es auf dem Felde, daheim im stillen Kämmerlein oder im örtlichen Tempel. Aber er besteht auch darin, an ihre heiligen Orte und gloriosen Sakralen zu reisen, um in Demut und Ehrfurcht die Wahrheit des Glaubens mit den eigenen Sinnen zu vernehmen: Pilger sind zu vielen Zeiten auf allen Straßen und Wegen Aventuriens unterwegs. Seien es die Gläubigen der Peraine, die aus über hundert Kehlen lange Gebete vor sich hin brummen, oder eine Adelsgesellschaft, die hoch zu Roß und mit einem Wagen voll Opfergold auf ein Praiosheiligtum zusteuert.

Ursprung
Reisen zur Buße oder eine Queste zu einem göttlichen Ort waren vor allem im güldenländischen Kulturkreis seit Menschengedenken bekannt: Angefangen bei der Sage, die ersten Aventurier seien Büßende gewesen, die für die Zwölfe einen neuen Kontinent erobern wollten.
Regelmäßige Wallfahrten führten die Priesterkaiser ein. Sie ließen ihre Statthalter Untertanen aus allen Himmelsrichtungen nach Gareth, der Stadt des Lichts kommen, um ihnen die Ehrfurcht vor dem König der Götter auf immer einzubrennen. "Jede Knute weist nach Gareth" sagt eine Redewendung aus jener Zeit. Die Priesterkaiser gingen, doch der Brauch blieb. Langsam wurde er von anderen Kirchen übernommen. Der kirchliche Zwang zur heiligen Fahrt fiel weg, wovon sich religiöse Landesherren und eifrige Geweihte aber nicht abschrecken ließen und ihre Untergebenen oft auf befohlene Pilgerfahrten schickten.

Pilger
Adligen, Bürgern und Freien stehen keine Hindernisse zu einer Pilgerfahrt im Wege: Als heilige Sache wird sie von Bekannten und vor allem dem örtlichen Tempel unterstützt. Hinterbliebene werden versorgt, bei weiten und langen Reisen, die über unsichere Wege führen, regelt man gar bereits den Nachlaß. Unfreie und Leibeigene sind dagegen von der Gunst ihres Herren abhängig. Da die Initiative für eine Wallfahrt aber meist von örtlichen Geweihten ausgeht, wird dieser Bitte für gewöhnlich nachgegeben. Eine Absage wird dagegen erteilt, wenn wichtige Aufgaben anstehen wie etwa der Bau einer Burg, im Kriegsfall oder wenn es schlicht zuwenig Hände für die Arbeit auf Hof und Feld hat. Allenfalls jeder zehnte Erwachsene aus einem Dorf darf eine solche Reise antreten - die anderen vertröstet man auf nächstes Jahr.
Meist ist es die einzige Reise, die ein Landmann in seinem Leben unternimmt, die einzige Gelegenheit, ferne Länder zu sehen, fremdartige Speisen zu essen und exotische Sprachen zu hören. Die andere Möglichkeit ist nur der grausame Kriegsdienst.
Pilgerkarten sind vermutlich noch vor Seekarten die häufigsten graphischen Darstellungen Aventuriens, die man finden kann: Sie zeigen am oberen Kartenrad jeweils das Ziel der Wallfahrer und darunter alle Wege und wichtigen Stationen, die dorthin führen. Vor allem von der Kaiserstadt ("Alle Wege führen nach Gareth."), Kuslik, Al'Anfa, Zorgan, Mantrash'Mor und Grangor existieren solche Werke.

Die Reise
Im nördlichen Aventurien beginnen Pilgergruppen witterungsbedingt ihre Reise meist am Tag des Aufbruchs (8. Ingerimm), eigentlich ein zwergischer Feiertag, und wollen spätestens bis zum Tag der Heimkehr (1. Travia) wieder zurückkehren. In Mittel- und Südaventurien prägen die Wallfahrer zu allen Zeiten das Straßenbild.
Für die Tage ohne Namen wird jede Wallfahrt unterbrochen und in Geborgenheit für das neue Jahr gebetet. Manche Pilgergemeinschaft, die dieses Gebot von starrsinnigen Bannstrahlern geführt mißachtete, um rechtzeitig zum Praiosfest den Tempel der Sonne zu erreichen, verschwand spurlos - mitten in der Goldenen Au von Gareth.
Die Geweihten sind Vorbilder und Anführer der Pilger: Sie müssen die Gruppe zusammenhalten, Streit schlichten und Recht sprechen. Unhaltbare Frevler werden ausgestoßen - in einem fremden Land der sichere Weg in ein ruheloses Dasein als Tagelöhner, Bettler oder Vagabund. Teilnehmer einer Wallfahrt sind von allen weltlichen Verpflichtungen und Gesetzen entbunden, sie gelten für diese Zeit als Teil der Kirche. Ihnen ist Obdach und Gastfreundschaft zu gewähren, Städte dürfen ihre Tore nicht vor ihnen verschließen, Zoll und Maut müssen sie nicht bezahlen. Unantastbar sind sie auch für Räuber und Wegelagerer, die noch einen Funken Frömmigkeit (oder Klugheit: die meisten Pilger führen nur das Mindeste mit sich) in sich haben.
Andererseits Seite haben sich die Pilger an Demut und Bescheidenheit zu halten. Für gewöhnlich gelten für sie auf dieser Fahrt auch die Auflagen, die ein Geweihter der jeweiligen Gottheit einhalten muß.
Um als Pilger erkannt zu werden, tragen die Reisenden gut sichtbare Symbole, die wie ein Talisman zu hüten sind: Unverwechselbare Kleinodien, die auch den Charakter des Glaubens wiederspiegeln.
Die Route der Reise ist oft seit Jahrhunderten vorgegeben. Natürlich werden für gewöhnlich die großen Straßen und Handelswege benutzt, doch es gibt immer wieder überdogmatische Geweihte vor allem von Praios, Rondra und Travia, die es als ihre Pflicht ansehen, den Zug der Pilger durch Länder von Heiden und Monstern zu führen, um die Kraft ihres Glaubens zu beweisen. Diese Todeszüge enden nicht selten unter den Schwertern und Klauen von Novadis, Orken und Dämonisten.
Auf dem Weg stoßen häufig auch noch andere Gläubige hinzu, so daß kleine Gruppen zu wahren Menschenmassen anwachsen können. Einzigartig ist der Große Marsch von 527 vor Hal, der - unter dem Symbol der Erneuerung durch Rohals Regierungsübernahme - mit der Tsageweihten Lacerta in Silas begann, durch Almada, Garetien und Aranien führte, um schließlich an den heiligen Quellen von Khunchom mit 20.000 Pilgern zu enden!

Am Ziel
"Erschöpft und schwer atmend fiel ich auf die Knie in den Staub der Prozessionsstraße: Ich hatte es geschafft. Die Donnersturmfelder Baburins lagen vor mir. Die Stadt erhob sich selbst auf einem massiven Felsplateu, zusätzlich von weißen und grünen Mauern geschützt. Zu erkennen war die 'Rüstung des überwundenen Giganten', wie der Stadttempel der Löwin genannt wird. In einer langen Reihe säumten Goldeichen den heiligen Weg bis zum leuchtenden Ende, dem Dreitempel, wo sich Rondras Herrlichkeit selbst offenbart hatte. Hier war es, wo vor fast zwei Jahrtausenden der Ahn meines Namens das erste Donnersturmrennen gegen Rondra selbst fuhr. War es die gleißende Sonne, oder die kindliche Ehrfurcht, die mir Tränen in die Augen stiegen ließ? So viele Meilen, so viele Tage lagen hinter mir. Von neuer Kraft erfüllt, erhob ich mich wieder, stützte mich auf mein Schwert. Die sechsarmige Rondra von Nebachot erwartete mich."

Aus einem Brief des Leomar vom Berg an seinen Oheim Ungolf, 9 Hal

Das Erreichen des heiligen Ortes ist der Höhepunkt jeder Wallfahrt. Art und Dauer des hier erfolgenden Dienstes an den Göttern ist in jeder Kirche und an jedem Sakrosanctum verschieden.
Nicht alle schaffen den Weg zurück in die Heimat, doch diejenigen, die wieder die heimische Schwelle erreichen, erzählen ihren Anverwandten mit leuchtenden Augen von den Wundern der Welt.

Kulte und Kirchen

Im folgenden sind Einzelheiten über die Pilgerfahrten der Kirchen des Zwölfgötterpantheons sowie anderer Religionen aufgeführt.

Kaplan: Beschreibt die leitenden Prediger des Zuges.
Pilgerzug: Anzahl und soziale Zugehörigkeit der teilnehmenden Gläubigen sowie Erscheinungsbild der Wallfahrtsgemeinschaft und Besonderheiten auf der Reise.
Erkennungszeichen: Die (in der Regel am Leib zu tragenden) Pilgermale des Kultes.
Ziele: Die bekanntesten Endpunkte der Wallfahrt. Die aufgeführten Ort sind nicht unbedingt die wichtigsten, sondern diejenigen, die am häufigsten aufgesucht werden. In der Kirche der Rondra z.B. gilt es als ebenso rühmlich, die kaum bekannte "Grotte, wo der Theaterritter Salim al-Tonha den Drachen von Solstono erschlug" zu beehren, wie zur Löwenburg von Perricum zu reisen.

Praios
Kaplan: Fast ausschließlich Bannstrahler sowie wandernde Ucuriaten, Horaspriester und andere Fratizellen.
Pilgerzug: Ganz klar lassen sich hier zwei Arten von Pilgern unterscheiden: Da Praios der Gott des Adels ist, sind es vor allem reich begüterte Feudalherren in gülden geschmückten Kutschen, die sich samt Anhang und Bedeckung zu einem Sanctum aufmachen. Sie werden meist von Geweihten begleitet, während man den Laienpredigern die großen Pilgerzüge überläßt. Wenn ein Baron seinen Untertanen eine Wallfahrt befiehlt, so sind dies überwiegend Sonnenzüge. Die um Ordnung bemühten Kaplane befleißigen sich, Züge von 12 oder 12 x 12 Pilgern zu versammeln. Streng reglementiert sind die Zeiten des Schlafens, Marschierens, Rastens und Betens auf der Fahrt. Unbedingter Gehorsam gegenüber den Leitern wird erwartet, wodurch entweder eine besondere Distanz oder aber Innigkeit zwischen Kaplanen und Pilgern entsteht.
Erkennungszeichen: Alle Pilger tragen reinweiße Kutten und ein Bernsteinamulett der Sonne (nahezu ausschließlich in in der Stadt des Lichts gefertigt und geweiht).
Ziele: Gegenüber dem Tempel der Sonne von Gareth im Zentrum Aventuriens, das vielleicht ruhmreichste der Zwölf Menschenwunder, erscheinen alle anderen Orte bedeutungslos. Zum Praiosfest lagern manchmal über tausend Pilger vor den Toren der Kaiserstadt. Die Sakrale von Beilunk wurde bis vor kurzem wegen der leichten Erreichbarkeit gerne gewählt, das abgelegene Orakel von Balträa suchen Ratsuchende auf. Seit der Erscheinung des Greifen Scraan im Zweiten Orkkrieg wird Greifenfurt in letzter Zeit immer häufiger zur Wallfahrtstätte. Im Lieblichen Feld besucht man den Tempel von Veliris (das größte Praioshaus des Landes), die heilige Stätte von Horasia oder begibt sich auf Suche nach der legendären Goldenen Stadt, die in den Goldfelsen oder der Khôm zu finden sein soll.

Rondra
Kaplan: Bislang taten sich hierbei die Templer von Jergan hervor, etliche Wallfahrer reisen aber ohne geistlichen Beistand.
Pilgerzug: Naturgemäß handelt es sich hier fast nur um Kriegsleute vom Milizionär über Söldner bis zu Ordensrittern. Sie reisen zumeist schwerbewaffnet und allein oder in kleinen Gruppen bis zu einem Dutzend. Traditionsgemäß wird die Pilgerfahrt mit einer Queste verbunden: Entweder will man dem heiligen Ort eine Waffe darbringen (oder dort suchen, wie in Neetha geschehen), auf dem Weg dorthin Ungeheuer erschlagen oder Zweikämpfe gewinnen. Aber es werden auch von der dortigen Geweihtenschaft Questen angenommen.
Erkennungszeichen: Mancherorts ist eine bestimmte Gesichtsbemalung in den Farben Rot und Weiß üblich, die als Mythraelsmal bezeichnet wird.
Ziele: Nachdem an der Thalionmel-Furt seit dem Fund des Schwertes der Löwin von Neetha der Andrang deutlich nachgelassen hat, sind die Kavernen von Donnerbach der einzige ausgeweisene Pilgerort der Kirche. Der Himmlischen Kriegsherrin gelten Orte von Zweikämpfen und Schlachten als bedeutender für Wallfahrten als die Zentren der Kirche wie Perricum, Arivor und Baburin. So sind es vor allem Schlachtfelder, die bereist werden: Die Blutfelder und Silkwiesen bei Gareth, die Wallstatt von Brig-Lo, die Ogermauer, die Furt der Klagen, der Drachenspalt, die Felder von Hemandu und viele andere mehr. Auch nach den Stätten der Sieben Streiche Gerons wird gesucht, viele andere Plätze berühmter Duelle aufgesucht.

Efferd
Kaplan: Geweihte, aber auch erfahrene Pilgerfahrer. Sie sind dafür berüchtigt, daß sie gerne mitten auf der Reise das Ziel der Pilgerfahrt ändern.
Pilgerzug: Wichtigste Auflage ist, daß der Großteil der Reise auf dem Wasser stattfinden muß: Sei es eine Flußbarke auf dem Darpat oder eine Potte im Perlenmeer. Efferdsfahrten sind klassische wachsende Pilgerzüge. Sie beginnen mit wenigen Beteiligten an einer Quelle und verzeichnen bis zur Mündung des Flusses immer mehr Teilnehmer.
Erkennungszeichen: Elidamuscheln, in die ein erbsengroßer Gwen Petryl eingesetzt ist, bisweilen auch Nixenteller (Riesenmuschel) oder Kalebasse (Gefäß aus einer hartschaligen Tropenfrucht).
Ziele: Der Hafen von Olport wird eigentlich nur von Thorwalern und Gläubigen der Küstenstädte an Ifirns Ozean besucht. Am bedeutendsten ist darum der Pilgertempel von Grangor, während der Haupttempels des Kultes in Bethana vergleichsweise wenig Beachtung findet. Da der Tempel in Havena angeblich bisweilen von einer alten Gigantin Efferds, einer Schildkröte, aufgesucht wird, schlagen auch manche Pilger den Weg zum Delta des Großen Flusses ein. Beliebtestes Binnenziel ist der Tempel der rauschenden Wasser zu Albenhus, gefolgt von den Ochsenwasserfällen, die Efferds Gewalten zeigen. Eine Kategorie für sich ist die Elidasfahrt, die einzige reguläre Pilgerfahrt, die während der Namenlosen Tage stattfindet, da sie die Sturmreise der heiligen Elida von Salza nach Brabak nachstellt.

Travia
Kaplan: Geweihte und Badilakaner. Sie begleiten als fürsorgende Mütter und Väter häufig auch Wallfahrer anderer Kirchen.
Pilgerzug: Die Pilgerfahrt ist fester Bestandteil der Verehrung der Heiligen Mutter, und viele der zahlreichen Anhänger begeben sich zumindest einmal im Leben auf die Reise der geschwisterlichen Demut. Eigentlich ist es Gebot, die Reise zu Fuß zurücklegen, doch viele wohlhabende Gläubige tun dem Gesetz nur auf den letzten Metern vor dem Ziel Genüge - der 'Rest' wird mit Kutsche oder gar Sänfte bestritten. Traviatempel sind vor allem aber jene Orte, die Pilger anderer Kulte für eine Nacht aufnehmen und mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Erkennungszeichen: Pilgerbinde aus gelbrotem Stoff, eine hölzerne Gans sowie die Bettelschale für milde Gaben. Größere Traviazüge führen einige der Heiligen Gänse mit sich - was sich arg auf die Reisegeschwindigkeit auswirkt.
Ziele: Hier gibt es fast nur einen Ort, der eine Reise rechtfertigt: Der Friedenskaiser-Yulag-Tempel in Rommilys.

Boron
Kaplan: Geweihte und Marboschwestern.
Pilgerzug: "Nur wer nach den Toten sucht, sucht auch nach dem Tod" heißt es. Es sind tatsächlich nur Hinterbliebene, die sich - gequält vom Tod eines geliebten Menschen - den seltenen und gefürchteten Rabenzügen anschließen: In eisigem Schweigen marschieren sie geisterhaft und schwarz gekleidet durch Land und Stadt. Wer sie erblickt, schlägt andächtig das Rad, Türen und Fensterläden werden geschlossen. Daß jene Züge nur nachts reisen und auf Boronangern rasten, ist jedoch purer Aberglaube. Dort wo der alanfanische Kult eine wahre Volksreligion ist, finden sich auch größere Züge, über die für gewöhnlich einige Brüder vom Orden des Schwarzen Raben wachen. Denn hier ist es Tradition, die Wallfahrt auch zu einer Reise der Seele zu machen - mit Cheriacha, Boronwein oder Ilmenblatt.
Erkennungszeichen: Häufig wird schwarz getragen, bis hin zur Färbung der Haare und dem Einschmieren mit Kohle. Eindeutiges Erkennungszeichen ist aber die vor dem Zug getragene Standarte Golgaris, ein Rabenkopf mit Obsidianaugen.
Ziele: Von beiden Kulten aufgesucht wird die Nekropole Palakar auf den Zyklopeninseln, so daß die dunklen Ruinen oft Schauplatz eines Disputs zwischen den Konfessionen werden. Das Gebrochene Rad zu Punin und die Stadt des Schweigens samt Rabenfelsen in Al'Anfa sind gleichermaßen gut besucht. Auf dem Heldenfriedhof bei Gareth hoffen viele Verwaisten, ihren Gefallenen die letzte Ehre erweisen zu können.

Hesinde
Kaplan: Geweihte der Hesinde und des Nandus, Mönche von der Schwesternschaft der Mada.
Pilgerzug: Kaum ein prägnantes Merkmal anderer Pilgerreisen weisen die hesindianischen Wallfahrten auf: Da ohnehin nur Gebildete, Künstler und Gelehrte eine solche Fahrt unternehmen, handelt es sich vielmehr um Bildungsreisen als einen heiligen Dienst. Das Aufsuchen der heiligen Orte reiht sich ein in die Liste zu besuchender Akademien, Bibliotheken und Institute. Da die Hesindeanhänger meist wohlhabend und individualistisch sind, reisen sie in kleinen Zirkeln per Karosse, allein zu Fuß oder zu Pferde.
Erkennungszeichen: Pilger, die nicht auf den ersten Blick als Gelehrte erkennbar sind, tragen einen Goldring mit schlangenförmigen Jadestein, wie sie in Fasar und dem Lieblichen Feld hergestellt werden.
Ziele: Gerne werden heilige Orte ausgesucht, die auch ganz profan als Horte des Wissens und der Künste etwas zu bieten haben: Damit stehen die Hallen der Weisheit in Kuslik und der Pentagontempel von Gareth an erster Stelle, weiters sind das Festumer Hesindedorf und die Zwölfgötterschule zu Methumis beliebt. Wer ideeller orientiert ist, reist zum Leuchtenden Feuerschlick in Elburum oder vielleicht nach Tiefhusen. Sprichwörtlich geworden ist die Suche nach dem Heiligen Strohsack des Nandus in Brabak. Das Orakel von Altaia war vor seiner Vernichtung derart unbekannt und abgelegen, daß es seine Pilger im Jahr an zwei Händen abzählen konnte.

Firun
Kaplan: keine
Pilgerzug: Jeder Firungläubige muß sich allein auf den Pilgermarsch machen: Er darf weder Pferd noch Kutsche noch Schiff benutzen (es sei denn, er muß ein Meer überqueren). In der Einsamkeit zeigt sich die Stärke des Glaubens und das Wohlwollen des "Alten vom Berge". Viele Pilger legen sich noch andere Beschränkungen auf, so etwa das Gebot, sich nur von Selbsterlegtem zu nähren. Bekanntester Bußmarsch der letzten Zeit war der des Koscher Grafen Orsino von Falkenhag, der barfuß nach Bjaldorn reiste, um vom Weißen Mann Bestrafung für einen Jagdfrevel zu erbitten.
Erkennungszeichen: keine
Ziele: Abgelegen und nur von einem Meister der Wildnis zu erreichen sind die beiden heiligen Orte des Wintergottes: Der Kristallpalast von Bjaldorn liegt heute inmitten eines Reiches von niederhöllischem Frost. Der Hängende Gletscher in der Schwarzen Sichel ist für viele Wallfahrer das letzte Reiseziel ihres Lebens: Etlichen sind die Eiswände und Gletscherspalten zum Gottesurteil geworden. Einige wenige begeben sich zu den Nomadenstämmen der Khom auf die Suche nach den Gebeinen der Meriban.

Tsa
Kaplan: Geweihte
Pilgerzug: Die Tsageweihtenschaft lädt sehr häufig zu Wallfahrten ein, um die Menschen hinter den Horizont blicken zu lassen, neue Länder zu sehen und die ewig werdende Schöpfung zu zeigen. Im Geiste dieser Stimmung kam es aber auch häufig zu Aufständen der Wallfahrer gegen die Herrschenden, so daß Pilgerfahrten unter dem Zeichen des Regenbogens vom Adel und einigen anderen Kirchen vielerorts mißtrauisch beäugt werden. Die Kaplane bevorzugen die Reise zum nächstgelegenen Sanctum, um einem Auflösen des Pilgerzuges durch einen Landesherren zuvorzukommen.
Erkennungszeichen: Blumenkranz um das Haupt, Opalamulett mit dem Zeichen der Göttin.
Ziele: Der Eidechsengarten von Silas, die Heilenden Quellen in Khunchom, der Hohetempel der Ewigjungen zu Punin und der Simiapark in Gareth. Wie zuletzt Ysilia und heute Greifenfurt werden auch immer Orte des Neubeginns angesteuert.

Phex "Warum dem nächtlichen Fuchs in der Ferne darbringen, was man im eigenen Milieu viel besser zuwege bringen kann? Nein, die Anhänger des Gottes der Diebe schweifen nicht in die Ferne, wenn das Gute liegt so nah: Juwelen, Geschmeide und Reichtümer sind dem Phexensjünger das, was der Tempel von Grangor für die Efferdgläubigen ist."

Predigt eines ungenannten Mondschatten im Nebeltempel von Trallop

Peraine
Kaplan: Geweihte, selten Therbuniten
Pilgerzug: Bei vier von fünf Aventuriern, die auf den Feldern arbeiten, wundert es nicht, daß Peraine die größte Anhängerschaft aller Zwölf hat. Entsprechend häufig sind große Pilgerzüge zu sehen, die von den Priestern der Fruchtbarkeit geleitet werden. Es sind fast ausschließlich Bauern, Hirten und verarmtes Volk, das sich einer Perainewallfahrt anschließt. Bürger und Adlige sehen diese Notwendigkeit nur, wenn sie an einem schweren Gebrechen leiden. Bescheidenheit ist oberstes Gebot: Geld dürfen die Pilger nicht mitführen und einen großen Teil der Strecke legen sie barfuß zurück - dennoch ist selbst im kältesten Winter nie einer erkrankt. Es ist ihnen erlaubt, von allen Früchten, die in Sumus Boden wurzeln, zu nehmen, so daß vor allem die Besitzer der Obstplantagen Araniens und des Lieblichen Feldes beim Anblick eines solchen Zuges die Zähne knirschen.
Erkennungszeichen: grünes Band um Handwurzel oder Hals, auf das gelbbraune Ähren aufgestickt sind.
Ziele: Bevor als Haupttempel der Peraine (wo die heiligen Artefakte aufbewahrt werden) der Tempel des Lebens zu Zorgan beständig ausgewählt wurde, verirrten sich durch die häufigen Verlegungen viele Pilgergruppen. Wer nach Zorgan geht, besucht auf der selben Reise auch den Heiligen Hain von Anchopal. Seit die Heilquellen in Ilsur nicht mehr zu erreichen sind, hat Honingen mit dem Heiligen Tiegel deutlich mehr wallfahrende Besucher.

Ingerimm/Angrosch
Kaplan: Geweihte, Laien
Pilgerzug: Ingerimms Anhängerschaft sind die Handwerker der Städte und Dörfer. Mindestens einmal im Leben treten sie von Esse und Werkbank zurück, um ihrem Gott in einem seiner Heiligtümer nahe zu sein. Die kaum mehr als zehn Leute umfassenden Laternenzüge kommen auf ihrer Wallfahrt nur langsam voran, da es als gottgefällig gilt, jede Reparatur und Anfertigung zu übernehmen, die ihnen auf der Reise angeboten wird - eine Möglichkeit, die sich vor allem kleine Dörfer nicht entgehen lassen und eiligst kaputte Karren, Töpfe und Sensen herbeiholen. Auch die Auflage, bis zum Erreichen des Ziels ein künstlerisches Artefakt zu schaffen, das dem Gott geopfert wird, trägt nicht zu einer schnelleren Reise bei. Es heißt, daß die am längsten währende Pilgerfahrt von einer Zwergensippe aus dem Regenwald unternommen wurde, die sich um 320 vor Hal kurzerhand entschloß, König Huntas I. von Shoy'Rina beim Bau einer "kleinen Palastanlage" zu helfen: 170 Jahre werkelten und feilten sie an Mirham, dem größten Prachtbau der bekannten Welt.
Erkennungszeichen: jeder Pilger trägt eine brennende Laterne bei sich.
Ziele: Als heiligste Orte gelten noch immer der gewaltige Schlund und Xorlosch am Vater aller Vulkane, dem Weißkegel. Noch häufiger als der Haupttempel in Angbar wird Abilacht besucht, wo der Heilige Rhys gewirkt hat. Selten, aber besonders herausfordernd sind die Reisen zu anderen Feuerbergen, den Schloten Ingerimms, die samt und sonders in den entlegensten Landen liegen: Nebelzinnen, Ehernes Schwert, Neunaugensee, Khom-Wüste und Waldinseln.

Rahja
Kaplan: Geweihte
Pilgerzug: Bereitwillig folgen viele Gläubige, gleich welchem Stand sie angehören, dem Ruf der Rahjageweihten zu einer Reise zu den schönsten und sinnlichsten Orten Aventuriens. Denn die Pilgerzüge sind geprägt von Frohsinn und Ausgelassenheit, die reiligiöse Ernsthaftigkeit wird erst auf den zweiten Blick erkennbar. Auch Tavernenbesitzern sind Wallfahrer der Schönen Göttin willkommen, da sie stets ein rauschendes Fest bedeuten, zu dem auch die Dörfler herbeigeströmt kommen. Häufiger finden solche Wallfahrten aber nur in hochkultivierten Ländern wie Almada, dem Lieblichen Feld, Mhanadistan und dem Balash sowie in Al'Anfa statt, während in vielen anderen Regionen eher prüde Priester von Travia, Praios und Peraine das Sagen haben.
Erkennungszeichen: Armreif (oft in Form einer Weinranke) mit einem Amethyst.
Ziele: Angesteuert werden nahezu alle Tempel des Kontinents, da jeder als lohnenswertes Ziel gilt. Zum Fest der Freuden reist man ins ekstatisch feiernde Rashdul oder zum Palast Rahjas auf Deren in Belhanka, wo zu dieser Zeit auch das große Geweihtentreffen stattfindet.

Pantheistische Wallfahrten
Manchmal gelten Pilgerfahrten nicht nur einer Gottheit, sondern mehreren oder gar dem ganzen Pantheon der Zwölfgötter. Sie werden in erster Linie von Mönchen vom Bund des Wahren Glaubens organisiert, aber auch Geweihte von Aves, Nandus und Ifirn betreuen solche Reisen. Der Pilgerzug besucht auf seiner Reise die Heiligtümer mehrerer Götter und hat meist das größte Sanctum der alveranischen Herrscher zum Ziel: Das Zwölfgöttermonument von Mantrash'Mor am Nordrand der Goldfelsen.

Rastullah
Kaplan: Mawdliyat
Pilgerzug: Die Novadis kennen nur eine Pilgerfahrt: Die Hadsch, die Reise zum Feld der Offenbarung von Keft. Da sie in keinem der 99 Gesetze Rastullahs verankert ist, streiten sich die Schulen über die Anzahl der Wallfahrten, die jeder Rechtgläubiger unternehmen muß: Während viele Schulen einmal oder neunmal für ausreichend halten, besteht die Schule von Keft darauf, daß jeder Novadi 99 mal auf die Hadsch gehen muß - eine Ansicht, die nur jemand entwickeln kann, der wenige hundert Schritt vom Ort der Gotteserscheinung entfernt wohnt. Während der oft langdauernden Reise durch Gebirge, Steppen und Wüsten sind die Rechtgläubigen nicht mehr oder weniger religiös als sonst. Entweder ist man Rastullahgläubiger oder man ist es eben nicht. Nur manche Stämme erlauben auch den Frauen, nach Keft zu reisen.
Erkennungszeichen: meist eine bestimmte Kombination von farbigen Tüchern an der Dschadra.
Ziele: Das Gebet auf dem Feld der Offenbarung dauert von Sonnenaufgang bis Sonnenaufgang. In dieser Zeit dürfen weder Speis noch Trank zu sich genommen werden. Eine Auflage, die manchen greisen Novadis schon den Tod in der Mittagshitze brachte, anderen dagegen Visionen vom Allgott.

Andere Kulte
Den Maraskanern käme eine Pilgerfahrt zu einem Tempel von Rur und Gror nicht in den Sinn: Schöpfer und Empfänger des Geschenks sind so weit weg vom Weltendiskus, daß sie keine Notiz von den Sterblichen nehmen.
Alle Natur- und Geisterglauben der Nivesen, Mohas, Norbarden und Ferkinas sind offenbar zu primitiv, um ein eigenes Pilgerwesen zu enthalten - dennoch kennen auch sie ausgewiesene Orte, an denen die Kräfte der Elemente und der Ahnen stärker sind als anderswo. Gleiches muß für nichtmenschliche Rassen wie Schwarzpelze und Goblins gelten. Wie es die Achaz und andere Kaltblüter mit ihren seltsamen Götzen halten, ist in den Nebeln der Zeit verborgen - was vermutlich besser ist.
Ausgeprägtes Pilgertum ist den Thorwalern nicht zu eigen: Sie schauen eher mal zufällig im Tempel einer Stadt vorbei, die sie gerade plündern.
Neben der Angroschverehrung kennen die Zwerge noch eine genealogische Wallfahrt: Die Heimkehrfahrt in die Heiligen Hallen von Xorlosch, dem Schoß der Erde, von denen sich alle Zwergenfamilien zwischen Nebelzinnen und Regengebirge mit feuchten Augen erzählen. Ja selbst die Wilden Zwerge des Ehernen Schwerts und die schauerlichen Tiefzwerge sollen sich vor Sehnsucht und Furcht nach dem Ort ihres Ursprungs verzehren, obwohl er ihnen auf immer verwehrt sein wird.

Anton Weste